Verstärkt Hausbesuche

Konkurrenzkampf und Kostenbremse: Neuerdings bemühen sich Hausärzte verstärkt um Patienten  ■ Von Barbara Dribbusch

Berlin (taz) – Die Gemeinschaftspraxis in Berlin-Schöneberg hat Öffnungszeiten, von denen viele Patienten träumen: Wochentags bis 20 Uhr, sonnabends bis 18 Uhr, sonntags bis 16 Uhr. Wer nicht kommen kann, wird zu Hause aufgesucht. „Unsere Öffnungszeiten werden gut angenommen“, freut sich Dieter Golkowski, einer der neun ÄrztInnen in der Praxis. Die Mediziner liegen im Trend. Verlängerte Öffnungszeiten und mehr Hausbesuche gehören zum verbesserten Service, mit dem Ärzte um neue Kunden werben. Denn Konkurrenzdruck und die von oben verordnete Kostenbremse drücken vielerorts auf die Praxis-Bilanzen.

Vorbei sind die Zeiten, in denen Patienten im Wartezimmer mit 20 anderen Leidensgenossen stundenlang ausharren mußten. In den Ballungszentren haben sich mitunter die Verhältnisse umgekehrt – vor allem in Berlin. Die Zahl der Allgemeinmediziner und praktischen Ärzte sei in den Jahren bis zum Niederlassungsstopp 1993 um 40 Prozent gestiegen, sagt Rita Kielhorn, Vorsitzende des Berufsverbands der Allgemeinärzte Berlin-Brandenburg. Eine der Folgen: „Es gibt zunehmend Praxen, die auch sonnabends geöffnet sind.“ Ein praktischer Arzt in Berlin- Kreuzberg beispielsweise bietet nicht nur sonnabends und sonntags bis 20 Uhr seine Dienste an. Wer außerhalb der Sprechzeiten anruft, wird auch noch via Anrufbeantworter höflich gebeten, Name und Telefonnummer für den ärztlichen Rückruf zu hinterlassen.

Der neue Service in Berlin erinnert an althergebrachte Landarzt- Romantik, wo der Onkel Doktor mit schwarzem Köfferchen und Regenmantel der Patientenschaft Tag und Nacht zur Verfügung stand. Und tatsächlich: „Die Zahl der Hausbesuche nimmt wieder zu“, berichtet Ulrike Hinney, Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin. Der ärztliche Bereitschaftsdienst der KV wurde 1994 um 15 Prozent weniger in Anspruch genommen als im Jahr davor. Die KV wertet das als Signal, daß viele Patienten eben ihren Hausarzt – und nicht den „Notarzt“ – zu sich bitten, wenn sie nicht mehr aus dem Haus gehen können.

Hausarzt Heiko Böhmer aus Kreuzberg beispielsweise plant an jedem Praxistag „so etwa zehn Hausbesuche“ ein. Mit dem Fahrrad klappert er in der Praxis-Mittagspause die zumeist älteren Patienten in der näheren Umgebung ab. Für jeden Patienten rechnet er im Schnitt 20 Minuten. Böhmer liegt mit seinen Hausbesuchen über dem Durchschnitt. Nach den Erhebungen des Berufsverbands der Allgemeinärzte macht ein Hausarzt „etwa pro Woche zehn Besuche“, schätzt Kielhorn. Das große Geschäft bringen die Visiten nicht. Sechs Mark gibt es für die Anfahrt bei kurzen Wegen, zwanzig für den Hausbesuch. Bei einer umfassenderen Untersuchung und Behandlung kommen vielleicht gerade mal 50 Mark für einen Besuch zusammen. „Eigentlich rechnet es sich nicht“, meint Böhmer.

Dabei machen den Ärzten vor allem die fallenden Punktwerte für ihre Leistungen zu schaffen. Für jede ärztliche Leistung erhalten die Mediziner eine bestimmte festgelegte Punktanzahl aus der Gebührenordnung. Der Wert eines Punktes sinkt aber, wenn in einem Bezirk viele Ärzte viele Leistungen erbringen. Denn seit der Gesundheitsreform sind die Gesamtausgaben in einem Bezirk auf ein Limit festgelegt. Die Folge: In Berlin ist der Wert für einen Punkt in den vergangenen fünf Jahren um ein Drittel gesunken, Tendenz fallend. Konnte ein Hausarzt vor fünf Jahren noch 30 Mark für den Posten „Hausbesuch“ kassieren, so gibt es dafür jetzt nicht mal mehr 20 Mark. „Die fallenden Punktwerte werden noch viele in die Pleite treiben“, sagt Kielhorn.

Um mehr Kunden unabhängig von den Krankenkassen zu gewinnen, suchen sich viele praktische Ärzte daher ein zweites Standbein. Homöopathie und Akupunktur sind Leistungen, die von den Patienten zumeist privat bezahlt werden. Heiko Böhmer ist auf Ernährungsberatung gekommen. Er berät Übergewichtige: „Das läuft gut und hat mit Punktwerten nichts zu tun.“