Kämpfen wie in Hollywood

■ In der ehemaligen "Fighting City" der Briten bildet die Polizei ihre Schüler aus / Charlottenburg will eine Freizeitanlage / Innenverwaltung hält an Geisterstadt fest

Der Räuber, der das Postamt Ruhleben überfallen hat, hat keine Chance. Das Gebäude ist umstellt. Auf den Befehl „Gebäude einnehmen!“ schießen etwa zwanzig Polizisten hinter Feuermeldern, Pfeilern und Mauern hervor. Mit gezogenen Waffen schleichen sie sich hinein. „Das ist keine Familiengeschichte, sondern ein dicker Hund“, kommentiert Hans-Joachim Heldt den Einsatz. Nach wenigen Minuten verlassen die Einsatzkräfte das Haus – ohne den Posträuber. Denn der existiert genausowenig wie die Post. Auch die Pistolen sind reine Staffage.

Der gespielte Raubüberfall gehört zum Ausbildungsprogramm der Polizeischule in Ruhleben. Auf dem Gelände des ehemaligen Kampfdorfes der britischen Alliierten üben die grüngekleideten Azubis den Polizistenalltag: den Umgang mit Funksprechgeräten, das taktische Verhalten bei Streitigkeiten um den Taxi-Fahrpreis, das Stellen von Ladendieben bis hin zum Bilden von Demoketten und zum Absperren von Straßen. Auch wenn die Polizeischüler im ersten Ausbildungsjahr statt ins Funksprechgerät in die hohle Hand sprechen, der Ladendieb einer von ihnen ist und der angekündigte Steinhagel in Form von Regentropfen auf sie niederprasselt – die Ausbilder schwören auf die Realitätsnähe der Fighting City.

Wo bis letztes Jahr die britischen Alliierten zwischen Gebäuden mit der Aufschrift „Supermarkt“ und „Tankstelle“ und einer Kirche samt Holzkreuz den Straßen- und Häuserkampf für den Ernstfall in Nordirland geübt haben, simuliert nun auch das Sondereinsatzkommando (SEK) der Polizei. Doch wenn die harten Jungs direkt neben dem Friedhof Ruhleben das Abseilen vom Hubschrauber oder ganztägige Geiselnahmen spielen, ist die Presse nicht zugelassen. Nur die Anwohner werden in Zukunft über zu erwartende Lärmbelästigungen vorab informiert.

Nach dem Abzug der Alliierten wurde das Gelände dem Land Berlin übertragen, inklusive einer sehr aufwendigen Elektroinstallation, die die Polizei jedoch nicht nutzt. Bis zur endültigen Klärung verwaltet die Polizei das Areal. Die Senatsinnenverwaltung will auf das Gelände im „innerstädtischen Bereich“ nicht verzichten. Es liege nur wenige Meter von der Polizeischule entfernt, stehe ihnen rund um die Uhr zur Verfügung und biete all das, was sich im Unterrichtsraum nur schwer nachstellen lasse. „Ohne Alternativen sind wir hochgradig an dem Gelände interessiert“, so der Pressesprecher der Innenverwaltung. Den Vorschlag des Bezirks, auf dem Truppenübungsplatz der Bundeswehr bei Lehnin zu trainieren, lehnen Innenverwaltung und Polizei ab. Das würde unnötig Zeit und Geld kosten.

Dem Bezirk Charlottenburg, den Anwohnern und der Arbeitsgruppe der Kreissynode der evangelischen Kirche in Charlottenburg jedoch ist das Polizeigelände ein Dorn im Auge. Ein Naherholungs- und Freizeitgebiet soll Ruhe in das siebzig Hektar große Gelände zwischen dem Olympiastadion im Südosten, der Charlottenburger Chaussee im Norden und der Heerstraße im Süden bringen. Das Gelände solle „kurzfristig“ zugänglich gemacht werden, meint Baustadtrat Claus Dyckhoff (SPD). Die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, der SPD und FDP hatten sich auf einer Bezirksverordnetenversammlung (BVV) vor einem Jahr ausdrücklich dafür ausgesprochen, einer teilweisen oder gänzlichen Nachfolgenutzung durch die Polizei nicht zuzustimmen. Derzeit wird geprüft, ob auf dem jetzigen Gelände des Munitionslagers, wo 1945 mindestens 200 Erschießungen durch Standgerichte stattgefunden haben, ein Mahnmal für die erschossenen Deserteure errichtet wird – wie es Anfang dieses Jahres die BVV beschlossen hatte.

Die 91 Gebäude aus Beton und Backstein, ein kleiner Wald, eine imitierte Bahnstrecke samt ausrangiertem U-Bahn-Zug und eine Autobahnbrücke gehören zur Fighting City. Die Kulissenstadt ist zum Teil dem wahren Leben nicht nur nachempfunden, sondern geradezu erschreckend realistisch: In der verrosteten Telefonzelle gibt es kein Telefon, das Dach der Bushaltestelle ist undicht, mit dem Feuermelder könnte man nicht mal den Brand eines Streichholzes melden. Hin und wieder finden sich Spuren vergangener Einsätze im Laub: hier ein Irritationskörper, da ein Knallkörper mit Reibzündung, hin und wieder Einschußlöcher im Beton. Auch Polizeiausbilder Heldt bewegt sich in der falschen Welt wie im wahren Leben: Bevor er in eines der mehrstöckigen Wohnhäuser geht, tritt er sich vorher sorgsam die Füße ab. Barbara Bollwahn