Italienische Gesetzmäßigkeiten

■ Die Wirtschaft boomt / Flickschusterei der neuen Regierung

Rom (taz) – Wenn Franco Modigliano, US-Wirtschaftsforscher italienischer Herkunft und Nobelpreisträger, zu den Perspektiven im Land seiner Vorväter befragt wird, bekommt er jedesmal eine Art Schüttelfrost: „Eigentlich sind die Dinge sonnenklar“, pflegt er dann zu sagen, „und ökonomisch sinnvolle Ratschläge zu geben, fällt nicht schwer.“ Nur, und dann runzelt der 83jährige die Stirn, „das Problem ist, daß es sich um Italien handelt, und daß da fast alles andersherum läuft, als es die Gesetze der Volkswirtschaft vorsehen. Aber auch wieder nicht so eindeutig, daß man daraus eine greifbare Regel machen könnte.“

Da hat er sicher recht, und man sieht es besonders schön, wenn, wie derzeit, tatsächlich mal Fachleute die Ministerien besetzen: Da rackert sich der ehemalige Chef der Nationalbank und derzeitige Ministerpräsident Lamberto Dini mit mehr als einem Dutzend leibhaftiger Universitätsprofessoren ab, dem Land eine Art gesicherten Haushalt zu verschaffen, die Wirtschaft in ihrem derzeitigen Boom auch in Richtung Beschäftigungspolitik zu treiben, dabei gleichzeitig Investitionen ins Land zu locken – und wie eh und je läuft alles verquer.

Dabei stehen die Dinge so gut wie lange nicht. Geradezu trunken vor Glück nahm die Nation den jüngsten Jahresbericht ihres größten Konzerns entgegen: Über 20 Prozent hat Fiat 1994 zugelegt, und der Automobilhersteller versucht diesen Zuwachs 1995 sogar noch zu übertreffen. Volle Auftragsbücher auch in der High-Tech-Branche, im Textilsektor, bei Designern und Zwischenhändlern. Doch just jener Sektor, der in allen anderen Ländern als Trendbranche gilt, der Baubereich, liegt weiterhin darnieder. Auch die Bauern und Handwerker, denen für 1995 Goldenes versprochen wurde, spüren kaum etwas vom Aufschwung.

In Arbeitsplätze setzt sich der Boom jedenfalls nicht um: Mehr als 400.000 Stellen hat das Land 1994 eingebüßt, der Industriellenverband vermutet, daß noch einmal eine Viertelmillion dazukommen, die Gewerkschaften befürchten gar eine Verdoppelung. Ein staatliches Ankurbelungsprogramm, wie es Modigliano zur Lenkung des Aufschwungs für unabdingbar hält, kann sich das Land aber nicht leisten. Noch stoppeln die Gelehrten in der Regierung am vergangenen Haushalt herum, der dringend novelliert werden müßte. Umgerechnet satte 25 Milliarden Mark fehlten schon zu Jahresbeginn, Tabak und Benzin sollen teurer, vielleicht auch die Mehrwertsteuer angehoben werden.

Flickschusterei also auch bei den hochgelobten Experten im neuen Kabinett? Regierungschef Dini sieht das wohl selbst so. Bei einer Stippvisite im Weißen Haus in Washington, unmittelbar nach seiner Ernennung, vermied es Dini jedenfalls, über die Einzelheiten seiner Wirtschaftsmanöver zu referieren, wie er das sonst gerne tut. Er warb bei US-Präsident Clinton vor allem um „Vertrauen in dieses wunderbare Land, das zu einer solch großen Wende fähig ist“ – was immer man darunter verstehen mag. Deutlicher wurden dann aber Mitglieder seines Gefolges: Berlusconi sei ja nun weg, da könne man ja wieder eine Investition wagen.

Für zu Hause hatte er sich dann doch einen Knaller ausgedacht: Schon im Juni möchte Dini den Haushalt 96 vom Parlament verabschieden lassen – das wäre Weltrekord. Mut kann man Dini also nicht absprechen, vor allem nicht, wenn man in Betracht zieht, daß just das Haushaltsgesetz, an dessen Reparatur seine Crew jetzt so verzweifelt arbeitet, vorwiegend aus Dinis eigener Schublade stammte. Schließlich war er unter Vorgänger Berlusconi Finanzminister. Werner Raith