„Potentiell tödliche Bedrohung“

■ Antiimperialistische Zelle droht mit weiteren Anschlägen

Berlin (taz) – Sprachlich kommt die Erklärung der Militanten ganz locker daher:

„In der Nacht zum 22. 1. 95 haben wir dort, wo Dr. Volkmar Köhler (Präsident der Deutsch- Marokkanischen Gesellschaft) in Wolfsburg wohnt, zwei Sprengsätze zusammen mit einer ersten Erklärung vorbeigebracht. Als Hintergrund zu dieser Aktion veröffentlichen wir jetzt einen zweiten Diskussionsbeitrag. Wir wollen [...] dazu beitragen, daß in der BRD gelernt wird, den Widerstand unserer Schwestern und Brüder im Maghreb/Nahen Osten zu verstehen und mit ihnen zusammen gegen den Imperialismus zu kämpfen.“

Der neue „Diskussionsbeitrag“, sechs eng beschriebene Schreibmaschinenseiten, wurde am Montag in Köln bei der Post aufgegeben. Ein Exemplar ging der taz zu. Unterzeichner ist eine „antiimperialistische Widerstandszelle“ (AIZ), der in den letzten beiden Jahren auch Anschläge auf die Kölner Gesamtmetall-Zentrale, auf Geschäftsstellen der CDU in Düsseldorf und Siegburg sowie der Bremer FDP zugerechnet werden.

Mühsam setzen sich die unbekannten AutorInnen in dem Schreiben mit den Positionen radikal-islamischer Gruppen aus den Staaten Nordafrikas auseinander. Aufgeworfen wird etwa die Frage, „inwieweit eine Zusammenarbeit mt revolutionär-islamischen Gruppen bei der Durchsetzung begrenzter Ziele möglich und sinnvoll ist“ – um dann zu der im Text hervorgehobenen Aussage zu kommen: „Im eigenen Kampf um Befreiung die Schwestern und Brüder, die im Maghreb/Nahen Osten gegen den Imperialismus Widerstand leisten, durch direkte Intervention in der BRD unterstützen!“

Ganz nebenbei wird den Untergetauchten aus der Roten-Armee- Fraktion (RAF), die im April 1992 einen Gewaltverzicht erklärt haben, kräftig vor das Schienbein getreten. Die AIZ reklamiert, der antiimperialistische Kampf sei nicht nur nötig, sondern auch „möglich“ – „Die Frage ist jetzt, ob diese Erkenntnis tatsächlich im Kapitulationsmainstream derjenigen untergeht, die in der Vergangenheit ihre politische Identität angeblich über den antiimperialistischen Kampf definiert haben“. Garniert werden solche Sprüche so: „Es ist von uns bewußt gesetzt, daß zur Erzeugung von politischem Druck an den Orten, an denen wir Aktionen durchführen, räumlich und zeitlich begrenzt eine potentielle tödliche Bedrohung entsteht.“

Speziell letzter Satz beunruhigt die Sicherheitsbehörden, weil sie nicht mehr ausschließen, daß die selbsternannten RAF-Nachfolger zu gezielten Attentaten gegen „die BRD-Eliten“ übergehen könnten. Unterdessen wird in Agenturmeldungen unter Verweis auf Bonner Sicherheitskreise spekuliert, hinter der AIZ stünde eine Gruppe von 20 bis 30 Personen, die sich 1992 von der RAF abgespalten hat. Die Spekulationen blühen dort, wo das Wissen rar ist. Wolfgang Gast