Italiens Liga Nord mit Herzschmerznummer

■ Umberto Bossis Triumph: Rücktritt des Liga-Chefs mit 430 von 500 Stimmen abgelehnt

Mailand (taz) – „Daß unsereins das noch erleben durfte“, murmelt, teils gerührt, teils amüsiert so mancher der gut vierhundert angereisten Journalisten im Palazzo Trussardi zu Mailand. Italiens bis vor kurzem widerborstigste Politformation, die sezessionistische Liga Nord, ist offenbar zum Akklamationsverein für Herzschmerznummern verkommen. Noch vor einem Jahr hatten sie den linksdemokratischen Bürgermeister von Bologna aus dem Saal gejagt, nur weil dieser das Wort „Solidarität“ in den Mund genommen hate. Nun überschütteten die knapp 500 Liga-Delegierten den Chef der Linksdemokraten, Massimo D'Alema, geradezu mit Ovationen. Und auch Liga-Chef Umberto Bossi brachte seine Leute fast zum Heulen, so schön sagte er es: „Wenn es in diesen Tagen einen gegeben hat, der dafür gesorgt hat, daß die Liga weitermachen konnte, dann war es D'Alema.“ Er sagte zwar auch „Buttigline“, weil der Chef der Volkspartei kräftig beim Austritt der Liga aus dem Bündnis mit Berlusconi geholfen hatte, aber dessen Namen ging eher geräuschlos vorbei, weil manche Ex-Christdemokraten derzeit mit der Rechten anbandeln.

Die ganz große Rührnummer aber kam am Samstag nachmittag. Da schlich der langjährige Weggefährte Bossis, Ex-Innenminister Roberto Maroni, genannt „Bobo“, aufs Podium und verkündete, daß er den Weg der Liga nicht mehr mitgehen kann. Er hatte zu den stärksten Widerständlern eines Bruches mit Berlusconi gezählt, gleichzeitig aber die Liga nicht verlassen wollen, weil er sich ein wenig als deren Mitschöpfer fühlte. Nach den vielen Austritten von Liga- Parlamentariern in den letzten Wochen stand die Stimmung zunächst in Kipplage: Würde Maroni sich in Richtung der Neofaschisten verabschieden und der Liga den schwerstmöglichen Schaden zufügen?

Bobo tat das Böse nicht – er erklärte zwar seinen Austritt aus der Liga Nord, doch auch, daß er sein Mandat als Abgeordneter niederlegen und sich aus der Politik zurückziehen werde: „Ich fürchte, die Liga hat, wenn sie Bossi folgt, keine Zukunft mehr; zumindest aber ist meine Erfahrung in der Bewegung irgendwie zu Ende, doch werde ich die Idee des Föderalismus nie aufgeben.“ Da begann es links und rechts zu tröpfeln, danach kam ein regelrechter Tränenguß, Umberto Bossi brüllte: „Ich wußte es, ich wußte es, er verrät uns nicht“, umfaßte den Abtrünnigen und doch Treuen um die Schulter und geleitete ihn hinaus. So schön kann Politik sein.

A propos Politik: Darüber wurde auf diesem Sonderparteitag nur wenig gehandelt. Umberto Bossi hielt im Kontrast zu seiner früher dröhnenden Demagogie ein strohtrockenes Referat, in dem er die Rückkehr zu „den Wurzeln der Liga“ verkündete, also zu einer eher sezessionistischen Haltung denn zu einer Kooperation mit der römischen Zentrale. Da er seine Gegner schon vorher aus dem Weg geräumt hatte, wurde Bossis Rücktrittsangebot denn auch mit überwältigender Mehrheit – 430 von 500 Delegierten sprachen ihm ihr Vertrauen aus – abgelehnt.

Doch ansonsten kam Stimmung nur auf, wenn Bossi neue Brandmarkungen seines früheren Partners Berlusconi als Oberteufel und Top-Versager der Nation einführte. Neueste Version: „Doktor Frankenstein“. Vereinzelten Protest gab es nur, wenn der Name Romano Prodi fiel – der vor zehn Tagen zum Ministerpräsidentschafts-Kandidaten der linken Mitte ausgerufene Wirtschaftsmanager erfreut sich noch immer keiner rechten Sympathie bei den Ligisten, gilt er doch als allzu sehr befreundet mit Mitgliedern der ehemaligen christdemokratischen Nomenklatur. Doch auch den, so hat Bossi angedeutet, werde man dann halt schlucken, wenn das Staatswohl es will, und vor allem, wenn man den „schwarzen Ritter“ Berlusconi damit verhindern kann. Werner Raith