Dem Müllschwund auf der Spur

Nach Dauerpanne in der Augsburger Müllverbrennungsanlage wird jetzt auch noch wegen millionenschwerer Schiebereien ermittelt  ■ Aus Augsburg Klaus Wittmann

Wochenlang lagen Detektive auf der Lauer, filmten und fotografierten mutmaßliche Müllschieber. Ihr Auftraggeber: die Abfallverwertung Augsburg (AVA GmbH). Immer wenn in Augsburg ein Müllcontainer ein Betriebsgelände verließ, war ihm die Hoffmann Security auf der Spur. Ergebnis: Fotos und Videos beweisen, daß Entsorger den Gewerbemüll, statt ihn zur Sortieranlage bei der neuen großen Müllverbrennungsanlage (MVA) zu bringen, auf Billig-Deponien in den neuen Bundesländern und in einer privaten Verbrennungsanlage in Mönchengladbach beseitigten.

Laut Gebührensatzung vom April 1994 muß Gewerbemüll aber unbedingt in der neuen Verbrennungsanlage angeliefert und „thermisch beseitigt“ werden. Eine teure Sache, kostet doch die Verbrennung für eine Tonne Müll 810 Mark. Anderswo in Deutschland ist das billiger zu haben: In Ostdeutschland kann schon für 70 Mark deponiert werden, in Mönchengladbach wird die Beseitigung für 260 Mark angeboten. Weil die Betreiber der völlig überdimensionierten MVA jedes Kilo Abfall brauchen, hatten sie Detektive auf die Fährte der vermeintlichen „Müllschieber“ gesetzt. Und übergaben jetzt das Material der Staatsanwaltschaft und den zuständigen Behörden.

„Wir ermitteln wegen Betrugsverdacht“, sagt die Leitende Oberstaatsanwältin Wilma Resenscheck. „Ob auch noch wegen Umweltdelikten ermittelt werden muß, wird sich zeigen.“ Doch zum Betrugsverdacht gehört mehr als eine Nichteinhaltung der Müllsatzung. In Augsburg wird nun vermutet, einige Entsorgungsfirmen könnten ihren Auftraggebern vorgegaukelt haben, die Abfälle zur MVA zu bringen und dafür die 810 Mark kassiert haben, tatsächlich aber den Müll für weit weniger Geld verschoben zu haben.

Doch die Industrie- und Handelskammer für Augsburg und Schwaben warnt mit Nachdruck vor einer Vorverurteilung. Durch die völlig überdimensionierte Anlage habe sich die Betreibergesellschaft AVA offensichtlich genötigt gesehen, auch noch ins Geschäft der privaten Entsorger zu drängen. Zu äußerst günstigen Konditionen sei Gewerbebetrieben die direkte Anlieferung und sogar der Transport von unsortierten Abfällen schmackhaft gemacht worden. Daß die privaten Entsorger dann nach Alternativen Ausschau hielten, sei sehr wohl nachvollziehbar.

Den Managern der als „Pannen- MVA“ bekanntgewordenen Großverbrennungsanlage steht ohnehin das Wasser bis zum Hals. „So lange ist noch kein Soldat stillgestanden wie die angeblich modernste Müllverbrennungsanlage der Welt“, spötteln die Augsburger Bürger. Sie tun es aus gutem Grund, denn was sich mit der eine Milliarde Mark teuren Verbrennungsanlage abspielt, dürfte die wohl größte Pannenserie sein, die es je bei einem solchen Großprojekt gegeben hat. Zunächst mußte, noch vor der „Warminbetriebnahme“, die angeblich modernste Anlage der Welt vier Monate lang stillgelegt und generalsaniert werden – dies noch vor dem längst überfälligen offiziellen Probebetrieb. Der Grund: mehr als 30 Risse in den Verbrennungsöfen. Mutmaßliche Ursache: zu hoch dosierte Mengen von Natronlauge bei der Reinigung und Bedienungsfehler. Außerdem funktionierten die Schieber der Verbrennungsöfen nicht. Auch die Elektronik der Müllkräne klappte nicht. Die Gesamt-Baukosten liegen inzwischen um das Dreifache höher, als ursprünglich geplant.

Zwar laufen die Öfen seit Oktober 1994 in einer Art Vor-Testphase, doch an einen regulären Probebetrieb, der zur Abnahme der Anlage erforderlich ist, ist nicht zu denken. Am 30. Januar 1995 sollte es nach mehreren Verzögerungen endlich soweit sein. Nach der Generalsanierung und einigen Monaten mit „warmen Öfen“ verkündete der Vorsitzende des Abfallzweckverbandes, der Augsburger Landrat Karl Vogele, der geplante offizielle Probebetrieb könne aufgenommen werden. Doch schon tags darauf gab es die nächste Pannenmeldung. Es müßten „vor Beginn des Probebetriebes noch einige technische Fragen geklärt werden“, teilte der Landrat mit. So als habe man nicht vorher gewußt, hieß es, daß zunächst noch das Liefer-Konsortium, die Planungsgemeinschaft, das Landesamt für Umweltschutz und das Umweltministerium konsultiert werden müssen.

Die Bevölkerung in Augsburg ist schon längst aufgebracht. Die Müllgebühren stiegen im vergangenen Jahr um bis zu 200 Prozent, Müllkontrolleure sollen zudem jede verdächtige Tonne überprüfen, in die möglicherweise „Wertstoffe“ eingebracht werden; Bußgelder bis zu 1.000 Mark drohen sündigen Müllbürgern. Und in einer solch angespannten Situation wird bekannt, daß Tausende von Tonnen Müll an der Anlage vorbei verschoben worden sein sollen – fehlender Gewerbemüll, der voraussichtlich mit weiteren 30 bis 60 Mark Müllgebühr pro Einwohner zu Buche schlagen wird.

Um die Anlage auszulasten, müssen wöchentlich 3.500 Tonnen Abfall verbrannt werden – keiner weiß, woher diesen Müll nehmen. Während in der Genehmigungsphase immer wieder versichert wurde, es würde nur Müll aus den beiden Zweckverbandskreisen Augsburg und Aichach-Friedberg verheizt, mußte nun schon mal vorsorglich in weiter entfernten Landkreisen der Mülltourismus angekurbelt werden – sehr zur Freude der Landräte von Dillingen und dem Kreis Donau-Ries, die sich nun ihrer eigenen Müllsorgen entledigt wähnen.