■ Nun ist er Genosse, der Ex-Genosse Uschner
: Mehr Gelassenheit bitte!

Nun ist er Genosse, der Ex-Genosse Uschner. Bewegt das die Welt? Trotz aller Presseerklärungen: Nein, das bewegt die Welt nicht. Da wollte einer in die SPD, ohne zu leugnen, daß er lange der SED in ihrem ZK gedient hatte. Aber die SPD wollte ihn nicht. Warum? Die Furcht ostdeutscher SPD-Neugründer vor den „Unterwanderstiefeln“ der SED beziehungsweise der PDS ist der eine Grund. Leider gelingt es, diese Ängstlichkeit zu dämonisieren als Ausgrenzungs-„Strategie“ wider die PDS. Der wiederum ist bekanntlich nichts zu schade, um sich als verfolgte Unschuld zu stilisieren. Tatsächlich hat die SPD Probleme, ruhig und besonnen mit dem Beitrittsbegehren von Menschen umzugehen, die vor der Wende in der SED waren. Gewiß gab und gibt es Eiferer, die glauben, auf diese Weise alte Rechnungen begleichen zu können. Denen halte ich entgegen, daß niemand als Demokrat, auch nicht als Sozialdemokrat geboren wird. Das kann man nur werden. Und wer das nicht glaubt, sei an Herbert Wehner erinnert.

Vor allem aber gibt es gerade in der SPD Opfer der SED-Herrschaft, die, als die SED zur „Partei Neuen Typs“ ausgerufen wurde, wegen ihres „Sozialdemokratismus“ zu Einzelhaft in Bautzen verdammt worden waren. Sie leben noch und sind wieder aktiv in ihrer alten Partei, für die sie gelitten hatten. Diesen Menschen mit ihrer Leidensgeschichte wird viel zugemutet, wenn Helfershelfer der SED nun Sitznachbarn in der SPD-Mitgliederversammlung sind.

Manche in der SPD gießen Öl in diese Feuer, wenn sie in einigen kleineren Ortsvereinen den Beitritt möglichst vieler alter SED-Mitglieder zu nutzen versuchen, um sich eine Hausmacht zu verschaffen. Das ist nur durch die Klugheit und Aktivität anderer SPD- Mitglieder, nicht durch Verweigerung der Parteiaufnahme zu verhindern. Aber es verstärkt natürlich die beschriebene Zurückhaltung. Das ändert nichts daran, daß auch einer wie Uschner in der SPD sein kann. Er hat eigene politische Irrtümer und Eitelkeiten zu beklagen und er hat das selbstkritisch und öffentlich getan. Jetzt will er der SPD weiterhelfen, und das braucht – in Ostberlin jedenfalls – Mut, wie ich im Bundestagswahlkampf 1994 erfahren mußte. Die SPD nimmt das Angebot an.

Der Schritt soll ein Zeichen sein – für einen gelasseneren und selbstbewußteren Umgang der Sozialdemokraten mit den vielen, die die SED mit einigem Anstand, beträchtlicher Intelligenz und viel Erfahrung überstanden haben und die wir nicht dem politischen Schmollwinkel in und außerhalb der PDS überlassen dürfen. Wolfgang Thierse

MdB und stellvertretender SPD-Vorsitzender