Gemeinsame Schulen, gemeinsames Leben?

■ Im neuen Schuljahr in Südafrika stehen zum ersten Mal alle öffentlichen Schulen allen Hautfarben offen - und zum ersten Mal müssen sich jetzt Weiße konkret mit der Rassenintegration auseinandersetzen

Pretoria (wps) – Kein Politiker hat einen Torweg blockiert. Kein Polizist mußte gerufen werden. Die Massenflucht der Weißen blieb aus. Im Januar begann im neuen Südafrika das neue Schuljahr: Überall wurden die einst rein weißen Schulen allen Rassen geöffnet. Und niemand protestierte.

Sogar in Ventersdorp, dem symbolischen Herzen des kleinkarierten weißen Rassismus, regte sich nicht einmal ein Murren, als wenige Schritte vom Hauptquartier der neofaschistischen „Afrikaaner-Widerstandsbewegung“ (AWB) schwarze Kinder in die weiße Schule spazierten. Dabei ist die Schulöffnung für viele weiße Familien das erste Mal, daß das Ende der Apartheid sie konkret betrifft.

Bisher überwiegt die Gelassenheit. „Es wird Probleme geben, aber wenn man den Leuten Zeit zur Gewöhnung gibt, werden sie sich anpassen“, sagt Hennie van Deventer, Vorsitzender einer nationalen Schulleitervereinigung der 2.100 einst weißen Schulen Südafrikas. Das mag damit zusammenhängen, daß in kaum einer „weißen“ Schule mehr als 15 oder 20 Prozent der Schüler schwarz sind, während von elf Millionen Kindern im schulpflichtigen Alter in Südafrika zehn Millionen Schwarze sind. Die fortdauernde, nun ökonomisch erzwungene Trennung der Wohngebiete macht viele Eliteschulen für die schwarzen Townships unerreichbar. Nach wie vor gehen die meisten Township-Kinder in ihre lokalen Schulen – zumeist Bruchbuden mit schlecht ausgebildeten Lehrern, die zudem mit der in der Zeit des Anti-Apartheid-Widerstands gewachsenen Protestkultur der Schulboykotts zu kämpfen haben. Und die neue Regierung unter Nelson Mandela hat klar gemacht, daß es zur Lösung dieser Probleme vorerst kein Geld gibt. Inflationsbereinigt ist der staatliche Bildungshaushalt in diesem Jahr sogar gesunken.

Dennoch hat die Öffnung der Schulen eine große symbolische Bedeutung. Früher gab es für die Schwarzen nur die sogenannte „Bantu“-Ausbildung, die zumeist ungelernte Arbeiter hervorbringen sollte. Pro Kopf gab der Staat für einen weißen Schüler soviel aus wie für fünfzehn Schwarze. Dieser Unterschied steht jetzt „nur“ noch bei drei zu eins. Im Prinzip ist jetzt eine gute Schulbildung für immer mehr Schwarze möglich – Stipendienprogramme sind im Aufbau. „Die Art, wie dieses neue Schuljahr begonnen hat, finden wir äußerst inspirierend“, sagt Cheryl Carolus, Vize-Generalsekretärin des ANC. „Die Desegregation der Schulen wird für Südafrika wundervoll. So werden wir endlich die Apartheid und den Rassismus kleinkriegen, durch die physische Interaktion der Kinder.“

Solche Hoffnungen gab es auch in den 60er Jahren in den USA, als die schwarze Bürgerrechtsbewegung dort gerade das Ende der Rassentrennung errungen hatte. Eine Generation später jedoch sagen viele US-Amerikaner, daß gemeinsame Schulen noch keine gemeinsamen Lebenszusammenhänge herbeiführen. Südafrika wird das auch entdecken, wird sich darüber jedoch wohl wenig wundern. Kaum jemand glaubt hier, daß Weiße und Schwarze eine gemeinsame Kultur teilen sollten, sondern man hofft einfach auf ein friedliches Nebeneinander. Südafrika ist kein Schmelztiegel.

So werden Südafrikas Weiße auch weniger gewillt sein als die des US-amerikanischen Südens, die Durchmischung der Schulen alternativlos zu akzeptieren. Wenn weiße Eltern von Kindern auf Privatschulen finden, daß ihre Sprößlinge keine „gute Erziehung“ mehr bekommen, werden sie daraus schließen, daß ihre Lebensideale gefährdet sind. Die Weltsicht eines weißen Vaters in Waterkloof bei Pretoria ist typisch: „Das Ziel unserer Schulen ist die Schaffung geschäftlicher Talente, die eine Ökonomie stützen können“, sagte er auf einer Veranstaltung der Provinzbildungsministerin Mary Metcalfe. „In der ganzen südafrikanischen Geschichte waren geschäftliche Talente immer weiß. Wenn unsere Schulen gezwungen werden, sich mit anderen Kulturen zu mischen, werden wir diesen Strom verdünnen und ein Trauma bekommen.“ Eine Mutter widersprach jedoch: „Tun Sie nicht so, als seien alle Weißen gegen die Integration“, sagte sie. „Wenn weiße Geschäftsleute so talentiert sind, sollten wir uns der neuen Realität anpassen können.“

Bis jetzt obsiegt die Anpassung über den Widerstand. Es gibt schließlich kein „Bussing“ wie in den USA, wo Kinder aus schwarzen Townships auf Schulen in weißen Wohngebieten gebracht werden, sondern es ist einfach gesetzlich festgelegt, daß Eltern ihre Kinder an der Schule ihrer Wahl anmelden können und eine Ablehnung aufgrund der Rasse nicht erlaubt ist. Das Ergebnis: Schwarze Kinder auf weißen Schulen haben zumeist Eltern, die sich die Transportkosten leisten können oder die als Hausangestellte ohnehin in weißen Gebieten leben.

Aber wenn die Regierung sich nicht beeilt, die Township-Schulen zu verbessern, könnten immer mehr Schawrze die Vorzüge der viel besser ausgestatteten weißen Schulen entdecken. Dann könnte es weißen Unmut gegen angeblich fallende Standards geben – so wie in den USA. „Ich schätze, die meisten weißen Eltern würden einen Schwarzenanteil von 20 Prozent in den Schulen akzeptieren“, meint van Deventer. „Danach gibt es ein Problem.“ Paul Taylor