Wand und Boden
: Keine lächelt nicht wie die andere

■ Kunst in Berlin jetzt: Birgit Kleber, Christian Borchert, Franz Erhard Walther und Bernhard Garbert

„En face“ sind die Frauen auf den neun großformatigen, quadratischen Schwarzweißfotografien in Serie gezeigt, namenlos, nur per Nummer gekennzeichnet. Der konzeptionelle Aspekt spielt bei Birgit Klebers aktueller Arbeit bei Art 5 III, Galerie Inge Herbert, die vorrangige Rolle – wie auch in ihren vorangegangenen Fotografien von „Frauen im Hotel“. Aber schaut man die Bilder auch nur kurz an, schauen sie – besser die abgebildeten Frauen – zurück, widerständig, eigensinnig. Überhaupt, wo geht der fotografische Code der Inszenierung in die soziale Äußerung über? Keine der Frauen lächelt. Ihre Haare sind unter einem Kopftuch versteckt, das Gesicht ist ganz frei gestellt, die Träger des T-Shirts bedecken die Schulter. Die Mittagssonne beleuchtet ihre Gesichter steil von oben, die Augen sind verschattet. Der Zwischenring zwischen 6x6-Kamera und Normalobjektiv bedingt, daß Birgit Kleber ihrem Gegenüber tatsächlich auf die Pelle rücken muß, auch daß die Schärfenebene minimal ist. Schon die Nasenspitzen der Frauen sind unscharf, ebenso die Stirnen. Das alles läßt sich als rein fotografisches Vorgehen beschreiben, dem sich die Fotografierten unterwerfen und das das methodisch gewonnene Ergebnis zeitigt. Aber wie ist es mit dem Regelbruch „bitte nicht lächeln“? Hier ist die Person gefordert, und keine lächelt nicht wie die andere. Das ist wirklich spannend.

Bis 28. 2., So 14–18 Uhr, Motzstraße 9, Schöneberg

Das fotografische Porträt nicht der Gesichts-, sondern der Stadtlandschaft ist Christian Borcherts Thema. Seit 1954 fotografiert er Dresden. Gleich im Eingangsraum der Fotogalerie Friedrichshain ein Zyklus über den Altmarkt 1956/57: Ein Damenmodengeschäft, sein Schaufenster mit zwei Kleiderpuppen sehen nach typischen 50er Jahren aus. Doch die Bar, die das westliche Auge zu sehen vermeint, an deren Tresen die Leute sich drängen, entpuppt sich als Lebensmittelgeschäft. Es ist die Nacht, die die Fotos so typisch 50er Jahre, so westlich urban macht. Tagsüber, vom Rathausturm aufgenommen, ist die Stadt gar nicht vorhanden. Militärisches Übungsgebiet: Die Straßen führen durch Brachland, auf dem ein paar Baracken stehen. Flugaufnahmen, zehn Jahre später, zeigen 1968 das surreale Bild eines von massiven Plattenbauzeilen umstellten Ruinenkarrees. Borchert fotografierte nicht nur die Straßen, Plätze und Ruinen Dresdens, den Wiederaufbau der Semperoper, sondern auch die Menschen. Er ist der Chronist des Alltags der DDR. Als es sie plötzlich nicht mehr gibt, leidet Borcherts Fotografie. Angesichts seiner Ratlosigkeit gegenüber der Boomtown Dresden gewinnt er aber sein bestes fotografisches Motiv zurück: die Nacht. Die nächtliche Stadt läßt ihre älteren Zeiten durchschimmern, durch die Schicht der Gegenwart: „Tektonik der Erinnerung“, nennt Borchert die Serie von 1991/92.

Bis 25. 2., Di–Mi, Fr, Sa 13–18, Do 10–18 Uhr, Helsingforser Platz 1, Friedrichshain

Die Tektonik von Franz Erhard Walthers Arbeiten ist ganz anderer Art. Nicht Erinnerungen werden zusammengefügt, sondern baumwollene Stoffbahnen so zusammengenäht, daß rechteckige räumliche Gebilde entstehen. Wenige eingenähte Platten geben dem Stoff Stand und ermöglichen es, die Artefakte als „Wandformationen“ zu präsentieren. Sie sind Bilder, möglicherweise auch Kleidungsstücke und (damit) Architektur, die, wie Adolf Loos sagte (der sich auf Semper berief), mit dem Zelt/Kleid und dem Teppich begann. Die „Kleine rote Architektur“ ist in sich aufgeteilt fast wie ein Besteckkasten. Ein schmales Segment für die Messer, zwei kürzere für Gabel und Löffel, ein Quadrat für den Rest. „Gruß an Byzanz“ erinnert an Chorgestühl: schwarze Winkel am Boden, am oberen Ende der grünen Stoffbahn eine Art Baldachin. Darunter gelbe Stoffkapuzen, die auch an maurische Bögen gemahnen. Mit Walther, der dem Klagenfurter Sammler Helmut Ritter eine Kunsthalle baute, beginnt die Busche Galerie ihre Ausstellungsreihe „Kunst wird Architektur“. Wer Allan Wexler im Martin-Gropius-Bau gesehen hat, sollte bei Busche vorbeischauen: Hier ist die kommunizierende Ausstellung.

Bis 4. 3., Mi, Fr 15–18, Sa 11–13 Uhr, Bundesallee 32, Schöneberg

Objekt-Kunst – Röhren, Platten, quadratische Faltkartons und zwei Gummiband-Glasscheiben –, die nicht zur Architektur, sondern zur Schrift tendiert, zeigt Bernhard Garbert im Neuen Berliner Kunstverein. Wenn sie überhaupt Assoziationen zuläßt. Aber im Kontext der anderen Objekte erscheint das acht Meter lange, mit Kohlepartikeln überkrustete PVC-Rohr „Bauchwelle“ auch als dicker fetter schwarzer Strich. Wirken doch die 24 kohleschwarzen Kartons an der Wand, die alle Varianten des Geschlossen- und Offenseins durchspielen, von Malewitschs „Schwarzem Quadrat“ bis zum Zustand, der ihren Titel „Offenes Geheimnis“ rechtfertigt, wie strenge Piktogramme. Und das über Glasscheiben gespannte, verknotete schwarze Gummiband scheint eine girlandenreiche Schrift zu schreiben. „Abstand halten, lesen“, lautet die paradoxe Botschaft dieser Kunst im Raum. Die sich in ihm verflüchtigen will, wenn eine weiße „Salzsäule“ zunächst gar nicht als Eingriff des Künstlers zu erkennen ist; oder wenn die weiße Gipswand sich nur durch seitlich hervorlugende Strohhalme als dreidimensionales landscape-Objekt zu erkennen gibt. Offene Geheimnisse sind Garberts Arbeiten nicht. Eher Variationen, von offenbar bis verborgen.

Bis 18. 2., Di, Do 12–20, Mi, Fr 12–18, Sa 12–16 Uhr, Chausseestraße 128, Mitte Brigitte Werneburg