Angst vor Mammutprozeß

■ Neue Verfahren gegen Neonazis wegen Fortführung der verbotenen ANS/NA

Nürnberg (taz) – Heute beginnt vor dem Stuttgarter Landgericht die Neuauflage einer Prozeßserie gegen führende bundesdeutsche Neonazis. Sie sollen als Rädelsführer „den organisatorischen Zusammenhalt einer Vereinigung, die unanfechtbar verboten ist“, aufrechterhalten haben. Gemeint ist die von Michael Kühnen gegründete „Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten“ (ANS/NA). Das erste Verfahren gegen die zehn Angeklagten begann im Februar 1991 und platzte im Mai letzten Jahres nach 124 Verhandlungstagen.

Die ANS/NA entstand Anfang 1983 unter maßgeblicher Beteiligung des 1991 verstorbenen Neonazi-Führers Kühnen als Zusammenschluß verschiedener rechtsextremer Gruppierungen. Man wollte eine „einheitliche Kaderbewegung“ schaffen. Nach verschiedenen militanten Aktionen entschloß sich das Bundesinnenministerium Ende 1983 zum Verbot der auf 32 Kameradschaften angewachsenen Organisation.

Das Verbot nutzte nicht viel. Die ANS/NA-Aktivisten gründeten neue Organisationen, unterwanderten die „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP) und gründeten 1984 das konspirativ arbeitende „Komitee zur Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag von Adolf Hitler“ (KAH). Nach dem Streit über die Vereinbarkeit von Homosexualität und Nationalsozialismus entzweite sich die Szene. Kühnen- feindliche Neonazis gründeten schließlich die „Bewegung“ und führten laut Anklage so die Strukturen der ANS/NA fort.

Dieser Flügel stand seit Februar 1991 vor Gericht. An der Spitze der Duisburger FAP-Funktionär Jürgen Mosler, der Vizechef der „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene“, Christian Malcoci, der Chef der 1992 verbotenen „Nationalen Offensive“, Michael Swierczek, der Vorsitzende der 1993 verbotenen „Heimattreuen Vereinigung Deutschlands“, Andreas Rossiar, sowie der Münchner Bela Ewald Althans.

Während in gleicher Sache FAP-Führer Friedhelm Busse in einem abgetrennten Verfahren zu 20 Monaten Haft auf Bewährung und der Hamburger Kühnen-Getreue Christian Worch zu zwei Jahren ohne Bewährung verurteilt wurden, endete das Mammutverfahren ohne Ergebnis.

Mit mehr als 70 Befangenheitsanträgen und unzähligen Beweisanträgen zogen die Verteidiger, allen voran der Hamburger Nazi- Anwalt Jürgen Rieger, das Verfahren in die Länge. Der Prozeß wurde zum Stelldichein international führender Neonazis, die ihren Zeugenauftritt zum Informationsaustausch mit ihren deutschen Gesinnungsgenossen nutzten. Im Januar 1994 schließlich plädierte die Staatsanwaltschaft auf Haftstrafen bis zu dreieinhalb Jahren. Das Plädoyer von Rieger zog sich dann über Wochen hin, bis im Mai 1994 der bis dahin über eine Million Mark teure Prozeß wegen Erkrankung einer Schöffin platzte.

Dies soll sich bei der Neuauflage nicht wiederholen. Man hat Ergänzungsschöffen bestellt, Rieger wurde wegen „Prozeßsabotage“ als Pflichtverteidiger entbunden. Zunächst steht morgen auch nur Mosler, laut Anklage ehemals Generalsekretär der „Bewegung“, vor Gericht. Am 7. Februar beginnt dann das Verfahren gegen Swierczek, Malcoci und Rossiar. Auch die Zusammensetzung der Kammer hat sich geändert. Als Vorsitzender wird sich nun Dietmar Mayer mit den Neonazis, ihren Anwälten und der über Info- Telefone und Rundschreiben zusammengetrommelten Anhängerschaft auseinandersetzen müssen. Bernd Siegler