■ Nach dem Willen vieler Unionspolitiker soll es der ARD an den Kragen gehen. Ihr Vorschlag, dafür die "Dritten" zu stärken, ist Augenwischerei. Ein Qualitätsverlust wäre kaum aufzuhalten.
: Vor Vielfalt schwarz vor Augen

Nach dem Willen vieler Unionspoli-

tiker soll es der ARD an den Kragen gehen. Ihr Vorschlag, dafür die „Dritten“ zu stärken, ist Augenwischerei. Ein Qualitätsverlust wäre kaum aufzuhalten.

Vor Vielfalt schwarz vor Augen

Ein „Konzern“ soll entflochten werden. Ganz klassisch zerlegt werden in seine Einzelteile. Zur Vielfaltssicherung und für mehr Wettbewerb. Man denkt an die IG Farben oder an die großen Anti- Trust-Verfahren in den USA. Nur werden in diesem Konzern alle wichtigen Entscheidungen von den „Tochterfirmen“ gemeinsam getroffen, der Vorstandsvorsitz wechselt unter ihnen im Zweijahresturnus. Jede hat ihren eigenen Haushalt, nur das „Profit Center“ ist noch nicht eingeführt.

Entflechten will den Konzern eine Partei, die sonst weniger auf Antikonzentrationsregeln pocht und hinter solchen meist staatlichen Dirigismus wittert. Zum Beispiel im Fall eines anderen Konzerns. Der wird zentral aus München-Unterföhring gelenkt, von einem Alleinherrscher, der eine Reihe von Fernsehsendern kontrolliert, die vor allem dafür sorgen, daß die gleichen Spielfilme, die im Archiv des Konzernherrn liegen, immer wieder auf den verschiedensten Kanälen abgespult werden. Eigentlich ist alles, was über zwei Sender hinausgeht, nicht erlaubt. Aber in München, wo er vorzugsweise seine Sendegenehmigungen beantragt, wird da nicht immer so genau nachgefragt.

Es handelt sich natürlich um Kirch und ARD. Nach dem Willen der meisten Unionspolitiker soll es allerdings nur dem Zusammenschluß der öffentlich-rechtlichen Landessender an den Kragen gehen. Hatte man in der Öffentlichkeit den ARD-Anstalten bisher vor allem Parteienproporz vorgeworfen (von links bis rechts und meist zu Recht), so haben jetzt die Ministerpräsidenten Stoiber und Biedenkopf eine „Konzernleitung“ entdeckt, die „Schlüsselpositionen im ARD-Bereich“ seien vom WDR besetzt, der „weite Bereiche der inzwischen zentralistischen ARD kontrolliert, zumindest nachhaltig bestimmt“. Wie sich die Dominanz der Rheinländer sonst noch zeigt? In der „Wort- und Meinungsführerschaft in ARD-Gremien“.

Eine wundersame Beobachtung, sehen wir doch allabendlich, wie schön politisch ausgewogen die „Tagesthemen“-Kommentare unter den Sendern aufgeteilt werden und wie wortgewaltig sich bei jeder passenden Gelegenheit gerade die bayerische Staatsregierung für die Fernsehinteressen ihrer WählerInnen einzusetzen versteht.

Rundfunkpolitik ist in Deutschland Ländersache. Deshalb können regionale Fernsehsender auch nur von Landesparlamenten und bundesweite Programme durch Staatsverträge der Bundesländer eingerichtet werden. Derzeit verfügt die Union zu ihrem Pech nur über zwei Länder, in denen sie ohne andersdenkenden Koalitionspartner der Medienpolitik ihren Stempel aufdrücken kann: Sachsen und Bayern. Vielleicht war deshalb die Versuchung so groß, das ganze Gewicht des Kanzlers auch noch mit einzuspannen. Helmut Kohl hat sich gestern demonstrativ hinter das sogenannte Positionspapier von Stoiber und Biedenkopf gestellt und auch ihre Drohung, bei Nichteinigung den Rundfunkstaatsvertrag zu kündigen und aus der ARD auszuscheren, unterstützt. Verfassungspolitisch ist das bedenklich, hatte sich doch Kohls geistiger Großvater Adenauer schon einmal in die Länderkompetenzen eingemischt und vor dem Bundesverfassungsgericht Schiffbruch erlitten: mit seinem Versuch, den Deutschen ein nationales, zentral gelenktes Fernsehprogramm zu verordnen.

Vordergründig geht es der Union heute um „mehr Vielfalt“ und angeblich um die Stärkung der Dritten Programme. Doch wenn die Fernsehgebühren jetzt schon nur knapp für zwei bundesweite Programme und die Dritten mit ihren vielen untereinander zeitversetzten Wiederholungen reicht, scheint die angepriesene „Stärkung der Dritten“ doch eher Augenwischerei. Zumal Stoiber in schöner Offenheit erklärt, daß er die Rundfunkgebühren einfrieren und künftig dem ZDF davon nicht mehr 30, sondern 45 oder 50 Prozent abgeben will.

Kaum aufzuhalten wäre der Qualitätssprung nach unten, wenn wir neben dem ZDF nur noch meist billig, weil regional produzierte Sendungen zu sehen bekämen; es würde den Privaten weitere Zuschauer (und Werbekunden) in die Arme treiben.

Mittlerweile scheint das die SPD gemerkt zu haben. Bis vor kurzem noch beherrschte die Riege der Standortpolitiker in den sozialdemokratischen Staatskanzleien die Medienpolitik, Düsseldorf allen voran. Und beinahe wäre man sich schon mit Stoiber über ein wirkungsloses Modell der Kontrolle des Privatfernsehens einig gewesen („Marktanteilsmodell“). Bis dann Schleswig-Holstein, Land ohne große Medienunternehmen, erst mal deutlich nein sagte. Mittlerweile scheint sich der Zusammenhang von der Schwächung der Öffentlich-Rechtlichen und der ungehinderten Ausbreitung der Kirch-Gruppe herumgesprochen zu haben – bis nach Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachsen. Michael Rediske