Energiedissens-Gespräche

■ Hochkarätige Runde bei ÖTV-Tagung / Schröder, Merkel, Fischer und Kuhnt durchschlugen den gordischen Knoten nicht

Essen (taz) – Die Hoffnung trog. Es sollte ein Auftakt für erfolgreiche Energiekonsensgespräche werden. Doch dann ging zum Leidwesen der 400 Vertrauensleute und Betriebsräte der Gewerkschaft ÖTV doch alles wieder seinen gewohnten Gang. Die inständige Bitte des ÖTV-Vorstandsmitgliedes Ralf Zimmermann, die Diskutanten möchten doch Signale setzen, daß „wir vorankommen auf dem Weg zu einem schnellen Energiekonsens“, stießen zwar beim Saalpublikum auf ungeteilten Beifall, doch auf dem hochkarätig besetzten Podium bewegte sich nichts.

Der niedersächsische Ministerpräsident und SPD-Verhandlungsführer Gerhard Schröder seufzte nur: „Wir waren schon mal weiter.“ Für die Atomindustrie markierte der Vorstandsvorsitzende des Essener Energiegiganten RWE, Dietmar Kuhnt, die Pro- Atom-Position in solcher Schärfe, daß ein Neubeginn der Gespräche nicht in Ansätzen zu erkennen war.

„Wir brauchen den Energiekonsens“, beschrieb Kuhnt unumwunden sein zentrales Interesse, „um einen politisch ungestörten Betrieb der laufenden Kernkraftwerke“ zu bekommen. In seinem nur als Text verteilten, aber nicht gehaltenen Statement hieß es darüber hinaus wörtlich: „Schließlich muß auch in Zukunft der Bau neuer Kernkraftwerke möglich sein“. Bei den anwesenden zum Teil in Atomkraftwerken beschäftigten ÖTVlern stieß diese Forderung auf fruchtbaren Boden. Mit Blick auf Podiumsredner Joschka Fischer lobte ein ÖTV-Betriebsrat – „ich bin selbst Sozialdemokrat“ – die Bonner Koalition: „Gottseidank“ gebe es in Bonn keine rot- grüne Koalition, und, so der SPD- Mann wörtlich, er „hoffe, daß das auch noch jahrelang so bleibt“. Der Ausstiegsbeschluß seiner eigenen Partei sei zwar fatal, aber die Bewegung der SPD weg vom Nürnberger Ausstiegsbeschluß stimme ihn doch zuversichtlich.

Der kräftige Applaus zeigte, daß viele im Saal diese Auffassung, die nicht der offiziellen ÖTV-Linie entspricht, teilten. Entsprechend dünn fiel der Beifall für Gerhard Schröder aus, der an seiner Position keinen Zweifel ließ: Es macht keinen Sinn, in der Zukunft auf Kernenergie zu setzen. Über Laufzeiten ist zu reden, nicht aber über das Prinzip Ausstieg aus der Atomenergie. Ein zehnjährige Restlaufzeit sei allerdings „viel zu kurz. 30 Jahre halte ich für einen vernünftigen Zeitraum.“ Doch selbst diesen Ball nahm der RWE- Boß nicht auf. Jetzt über Restlaufzeiten zu reden, mache keinen Sinn, denn allein die Nennung von Zahlen „wäre ja schon der Beginn des Ausstiegs“.

Weitgehend einig mit Schröder zeigte sich der für die Energiepolitik bei der ÖTV zuständige Ralf Zimmermann. Zum jetzt erforderlichen Konsens müßten gewiß garantierte Laufzeiten „jenseits von 20 Jahren für jedes Atomkraftwerk“ gehören, doch einen Entscheidungsdruck über die Frage der Option auf neue Atomkraftwerke sehe die ÖTV nicht. Selbst diese alles offenlassende Formel rief bei einigen im Saal schon vernehmliches Murren hervor. Doch es gab auch realistische Stimmen über die Stimmung im eigenen Laden. Es gebe dort ein Meinungsbild wie in der Gesellschaft insgesamt: 70 Prozent gegen, 30 Prozent für Atomkraft.

In der Essener Halle war es umgekehrt. Aber immerhin: Auch Joschka Fischer erhielt Applaus für seine Bereitschaft, über Restlaufzeiten zu reden, „wenn damit eine geregelte Beendigung der Atomenergie verbunden“ sei. Ohne ein definiertes Ende der Atomenergie, so Fischer, „gibt es keinen Konsens unter Beteiligung der Grünen und der Umweltverbände“. Diese Frage müsse am Anfang der Gespräche geklärt werden.

Die neue CDU-Umweltministerin Angela Merkel zieh Fischer daraufhin, „eine Nebenfrage zur Hauptfrage zu erklären“. Deshalb sei ein Konsens mit ihm so schwer. Über diese „Nebenfrage“ aber ging die ganze dreistündige Diskussion. Walter Jakobs