Kunst oder Sachbeschädigung?

■ Polizeipräsident Saberschinsky geht immer häufiger mit Razzien gegen Sprayer vor / Jugendsenatorin Ingrid Stahmer meint dazu: "Nicht alle Sprayer sind kriminelle Schmierer"

Mauricio bezeichnet sich als HipHopper und ist ein passionierter Graffiti-Sprayer. Der 14jährige ist bereits zweimal von der Polizei geschnappt worden. Zuletzt vor drei Wochen am Wannsee. „Ich war gerade dabei, mit einem Kumpel ein drei Meter breites piece zu sprühen, als die Zivis kamen.“ Die Beamten nahmen ihn mit auf die Wache und brachten ihn nach der Überprüfung der Personalien nach Hause. Ohne richterlichen Durchsuchungsbefehl stöberten sie morgens um 3 Uhr in seinem Zimmer herum und nahmen einige Sprühdosen mit.

Daß die Polizei so verbissen Jagd auf Sprayer macht, kann er nicht verstehen. „Ich bin kein Krimineller, und Gewalt ist auch nicht mein Ding“, sagt er. Auch in der übrigen HipHop-Szene habe man mit Messerstechereien und Gewalttaten nichts am Hut. „Klar, es gibt auch Fighter, die manchmal sprayen. Aber das sind eher so 'ne Straßengangs. Crews wie OCB (Operation City Bombing) oder DANEXUS, deren tags man an allen Ecken sieht. Gewalt ist da nicht angesagt.“

Polizeipräsident Saberschinsky sieht das anders. Doch die Sprayer bekamen Unterstützung von der Jugendsenatorin Ingrid Stahmer. Vergangene Woche wies sie in einer Presseerklärung darauf hin, daß nicht alle Sprayer „kriminelle Schmierer“ seien. „Es ist unangemessen, die vielen tausend Graffiti-interessierten Jugendlichen in Berlin pauschal als kriminell oder sogar gewalttätig hinzustellen.“ Gerade innerhalb der Graffiti- Szene gebe es anerkannte Gruppen, die sich aktiv und erfolgreich gegen Gewalt und für ein friedliches Zusammenleben von Jugendlichen engagieren.

Sami „Ben“ Masour, einer der Stars der deutschen HipHop- Sprayer, kann das nur bestätigen, weil Respekt, Toleranz und Offenheit die drei goldenen Regeln des HipHop sind. „Klar, es gibt immer ein paar Idioten, die auf Gewalt aus sind: Gang-Banger, die zu viele amerikanische Filme über Jugendbanden gesehen haben, Gangsterrap hören und ihre Bezirke mit simplen tags abgrenzen. Aber die haben keinen Schimmer vom Sprühen“, erklärt der 20jährige Palästinenser.

Nicht jeder, der mit Farbdosen rummache, sei ein HipHopper. Außerdem sei HipHop mehr als nur Sprayen. Break-Dancing und Rappen gehöre ebenso zu der vor 20 Jahren in den USA entstandenen Kultur wie Gewaltfreiheit. Schließlich war die von Afrika Bambata, einem Schwarzamerikaner, ausgehende Bewegung als Gegenstück zu den gewalttätigen Großstadtgangs in der New Yorker Bronx entstanden.

Die Vorwürfe der Polizei, die Sprayer seien gewalttätig, nimmt Sami „Ben“ Mansour nicht ernst: „Wenn wir so schwer bewaffnet rumlaufen würden, wie die Bullen behaupten, hätten wir gar keinen Platz für unsere Sprühdosen.“ Für ein gutes piece müsse man mitunter schon mal zehn Farbdosen dabeihaben. Und die seien billig und verführten keineswegs zur Beschaffungskriminalität, wie der Polizeipräsident behaupte. Denn die Farbdosen seien obendrein sehr ergiebig.

Die Behauptung der Polizei, daß einzelne Sprayer-Crews pro Woche 2.000 bis 3.000 Mark benötigten, hält Ben für Spinnerei. „Wahrscheinlich gehen die Bullen immer ins Bauhaus. Bei uns kostet eine Sprühdose gerade mal fünf Mark!“

Derweil will die Jugendsenatorin den Graffiti-Künstlern legale Flächen zur Verfügung stellen, um Sachbeschädigung entgegenzuwirken. „Unter fachlicher Anleitung“ will die Senatorin die kulturelle Ausdrucksfähigkeit von Jugendlichen fördern“, erklärte Ingrid Stahmer, deren erklärtes Ziel es ist, Jugendliche unserer pluralistischen Gesellschaft zu integrieren und zu fördern.

Für Sprayer nicht unbedingt nötig. Denn Ben sprüht ohnehin lieber an ausgefallenen Orten: unter Brücken, an Schrottwänden und alten Gartenzäunen. „Privathäuser, religiöse Gebäude, ob Moscheen, Synagogen oder Kirchen, sowie Denkmäler besprühe ich nie.“ Peter Lerch