Lift-Krieg am Wendelstein

Ein Almbauer blockiert den Skitourismus, schont den Berg und entzweit sein Dorf  ■ Aus Bayrischzell Thomas Pampuch

Schon im Feldzug gegen Rußland im Jahre 1812/13 waren einige Mitglieder der Gemeinde Bayrischzell mit dabei. Das kann man auf einer Gedenktafel in der Pfarrkirche des 1.700-Seelen-Dorfes am Fuße des bayrischen Paradeberges Wendelstein (1838 Meter) lesen. Raufen können sie also, die Bayrischzeller, und derzeit tun sie es mal wieder besonders herzhaft. „In Bayrischzell ist der Wurm drin“, das erzählen einem viele, wenn man in das schöne Skigebiet eine Autostunde östlich von München fährt.

„Selbst Italien mit seiner Mafia kannt hier no was lernen, hat mir neilich a Italiener g'sagt.“ Der uns das berichtet, Almbauer Josef Lärcher (43), ist zugleich Auslöser, Held und Opfer des großen „Lift- Kriegs im Oberland“. Der sympathische Querkopf, dessen Familie seit Hunderten von Jahren im Dorf ansässig ist, hat zur Zeit wenig Freude, steckt er doch mitten in einer „Schußfahrt durch die Prozeßlawine“ (SZ).

Das Dorf vermutet beim „Ökospinner“ Eigennutz

Mit der Ankündigung, einer Verlängerung des auslaufenden 25jährigen Pachtvertrages mit der Wendelsteinbahn zur Nutzung seiner Almwiese unter dem Gipfel für Lift und Piste nicht zuzustimmen, hatte Lärcher schon im Herbst nicht nur im Dorf, sondern auch in der gesamten zivilisierten wie unzivilisierten Skiwelt für Unruhe gesorgt. Die betroffene Wendelsteinbahn AG (eine Tochter der Lechwerke, und damit der RWE) nutzte die Tatsache, daß der alte Pachtvertrag ein Gemeinschaftsvertrag mit zwei Almnachbarn Lärchers war und finanzierte den Nachbarn eine Klage gegen den unwilligen Lärcher-Bauern. Die jedoch wurde vom Landgericht München erst mal abgewiesen.

Letzte Woche erklärte das von der Verliererpartei angerufene Oberlandesgericht, daß eine Entscheidung erst im April bekanntgegeben werde. Die Abfahrt bleibt bis dahin auf jeden Fall geschlossen. Gondel- wie Zahnradbahn auf den Wendelstein laufen zwar weiter, aber Skier braucht in diesem Winter wohl keiner mit hoch zu asten. (Wichtige Durchsage des Bürgermeisters von Bayrischzell: Das benachbarte Hauptskigebiet Sudelfeld ist von dem Streit nicht betroffen! Es lohnt sich auch für Skifahrer, weiterhin nach Bayrischzell zu fahren! Ende der Durchsage.)

Vor allem, daß der Almbauer Lärcher in seiner Verweigerung ökologische Argumente ins Feld führte – „Ich kann die stets weiter wachsenden Umweltschäden nicht mehr verantworten“ –, hat weite Teile des Dorfes so richtig fuchsig gemacht. Denn vor nichts scheinen viele der inzwischen weitgehend vom Tourismus abhängigen Land- und Exlandwirte solche Angst zu haben wie vor diesen „Ökospinnern, die uns den Fremdenverkehr kaputtmachen“.

Wie ein „Ökospinner“ wirkt der Lärcher Josef eigentlich nicht, wenn man ihn in seiner hübsch ausgebauten Almhütte (von 1580) etwas außerhalb des Dorfes besucht. Gegen Skifahren habe er beispielsweise überhaupt nichts. Das nimmt man ihm schon deshalb ab, weil er jahrelang Rennläufer war und es später bis zum Assistenztrainer der deutschen Ski-Nationalmannschaft gebracht hat. Aber er ist eben auch Almbauer, und als solcher „bestößt“ er, wie es so schön heißt, im Sommer seine 30 Hektar große Hochalm mit „Pensionsvieh“ anderer Bauern, wofür der Freistaat noch 12.000 Mark dazugibt.

Über eben diese Almböden fuhren dann im Winter die Skifahrer, die mit Gondel- oder Zahnradbahn auf den Wendelstein gekommen waren. Wer wollte, konnte auch noch zwei kleine Schlepplifte auf seinem und dem nachbarlichen Gebiet nutzen. Freilich war diese sogenannte „Wendelsteinhauptabfahrt“ immer nur etwas für Könner, vor allem aus der Region. „Schon der mittelgute Skiläufer war mit dem Hang absolut überfordert. Die meisten sind naufg'fahrn, ausg'stiegn, ham da obi g'schaut, ham umdraht und san glei wieder mit der Gondel obigfahr'n“, sagt Lärcher. Selbst seine jetzigen Kontrahenten räumen ein, daß in den letzten fünf Jahren der Winterbetrieb der Lifte ein „Draufzahlgeschäft“ war. Bis zu 200.000 Mark habe man jeden Winter an Verlusten eingefahren, bekennt der Betriebsleiter der Wendelsteinbahn, Rüdiger Dietrich, „weil wir die Lifte wegen Schneemangels im Durchschnitt sowieso nur 21 Tage laufen lassen konnten“.

Nichtsdestotrotz – oder auch gerade deswegen – habe, so Lärcher, die Wendelsteinbahn versucht, die schwierige Abfahrt durch Flächenveränderung zu entschärfen. „Die wollten aus dem Tourengebiet immer mehr Piste machen und haben schon vor Jahren angefangen, Steine zu entfernen, damit dann die Pistenraupe rüber fahren kann. Die Walze ist seit etwa vier Jahren in Betrieb, immer die gleiche Trasse, da hat man dann gesehen, wie's immer schlimmer wird. Durch das Verfüllen von den wasserführenden Gräben konnte das Wasser nicht mehr ablaufen und staute sich. Die ganze Weide wurde naß. Und jetzt geht das Vieh da hinein, und dann schreibt der Gutachter: ,Alles Viehschaden.‘ Dabei wußte der gar nicht, wie's vorher ausg'schaut hat.“

Fragt man die andere Seite, hört sich die Sache natürlich anders an. Für Lärchers Almnachbarn – die im übrigen schon mit Lärchers Vater über Kreuz waren, weshalb es auch zur Aufteilung der ehemals gemeinschaftlichen Alm kam – ist der Sohn mehr oder weniger ein Spinner, der sich nur an der Gemeinde rächen will, weil er ein paarmal keine Baugenehmigung bekommen hat. Das mit der Ökologie nehmen ihm beide nicht ab. „Der Schaden durch den Skibetrieb ist doch minimal, höchstens 0,5 Prozent, wie's der Gutachter g'schrieben hat“, sagt uns Justi Bauer, die mit ihrer alten Mutter inzwischen ein Gästehaus im Ort betreibt.

Auch der andere Kläger, Fritz Altmann, verdient heute weitaus mehr am Tourismus als an seiner Hochalm am Wendelstein, die er verpachtet hat. Er hat zum Beispiel mitten im Ort in einem alten Stall ein Kino eingerichtet, und auch sonst gehört ihm einiges im Dorf. Der mögliche Verlust der lumpigen 2.000 Mark, die ihnen die Wendelsteinbahn künftig pro Jahr zahlen will, ist es wohl nicht, der die beiden so gegen den Lärcher aufbringt. Aber „daß der ganze Ort leidet wegen so einem“, daß will Altmann nicht einsehen. „Mit dem ist nicht zu reden“, grummelt er, aber das wundere ihn wenig: Schon mit Josefs Vater und Großvater habe es „100 Jahre nur Verdruß“ gegeben auf der gemeinsamen Alm.

Ein generationenalter Konflikt also, der nun auf der Steilabfahrt nach Osterhofen ausgetragen wird? Sicher auch. Lärcher ist in jedem Fall einer, der anders ist als die meisten im Dorf. Schon daß er mit einer „Lebensgefährtin“ zusammenlebt, entspricht nicht gerade altem Bayrischzeller Brauchtum. Daß die auch noch eine muntere Rheinländerin ist, kommt erschwerend hinzu. Andererseits mag es auch sein, daß die voll auf Tourismus umgestiegenen Bauern im Dorf sich besonders durch Lärchers Einsatz für die traditionelle, gute alte Almwirtschaft provoziert fühlen.

Martin Auracher, der langjährige Bürgermeister von Bayrischzell, befürchtet durch die Affäre vor allem einen „Imageverlust“ für die Gemeinde. „Der Wendelstein ist einfach als Symbol wichtig, deshalb hat die Wendelsteinbahn ja auch so viel investiert. Es kann nicht sein, daß ein einzelner über das Wohl und Wehe einer ganzen Region befindet.“ Er habe lange versucht, eine Vermittlerrolle zu spielen. Lärcher sei jedoch nicht einmal zu den anberaumten Terminen gekommen.

Der Bürgermeister von Bayrischzell wäre sicher besser beraten, wenn er den Groll gegen den Lärcher begrübe und schnell auf dessen Zug aufspränge. Skipisten gibt es genug in der Nähe. Dem am Gipfel ohnehin zubetonierten Wendelstein täte es gut, wenn man wenigstens die Almen und Wälder an seinen Flanken zum ökologischen Schutzgebiet deklarierte. Nicht nur der Auerhahn würde es den Bayrischzellern danken. Und die Frage, ob Bayrischzell als ohnehin nicht schneesicheres Skigebiet oder als ein im Alpenschutz tätiges Dorf die bessere Imagepflege betriebe, ist noch nicht entschieden.

Doch noch rauft man sich in Bayrischzell. Seit Monaten gibt es Versuche, Lärcher seinerseits als Umweltsünder und Abzocker hinzustellen, der es vor allem auf einen lukrativen Grundstückstausch abgesehen habe.

Ein Vorwurf lautet, daß Lärcher seine vor Jahren abgebrannte Almhütte oben am Hang wieder aufbauen will und deswegen letztes Jahr die Gelegenheit nutzte, als gerade ein Bagger oben war. Der legte im Auftrag der Bundeswehr einen Abwasserkanal für die militärisch genutzte Soinhütte durch sein Gelände, und Lärcher ließ sich vom schweren Gerät sogleich einen Graben für die Wasserleitung zu seiner geplanten Alm ausbaggern. Genau daraus will man ihm nun in einem Beweissicherungsverfahren einen Strick drehen – obwohl der Bau der Alm bereits genehmigt war und sogar von Staats wegen gefördert wird.

Wirkliche Gefahr indes droht Lärcher von der finanzkräftigen Wendelsteinbahn AG. Im Kampf gegen die werde ihm die Gemeinde Bayrischzell schon deshalb nicht helfen, so Lärcher, weil sie selbst vor langen Jahren von der AG „so über den Tisch gezogen wurde, daß sie heute nach der Pfeife der Bahn tanzt und alles mitspielt“.

„Wir lassen dich an der ausgestreckten Hand verdursten“, soll ihm das mächtige Unternehmen gedroht haben. Indirekt bestätigt das auch Betriebsleiter Dietrich, als er uns genüßlich vorrechnet, was auf den Lärcher zukommen wird, wenn er den Prozeß verliert: „200.000 langen da net, wenn man zu den Gerichtskosten die Schadenersatzansprüche rechnet, die wir dann stellen werden.“

Skifahren bitte nur, wenn der Schnee reicht

Bei so mächtigen Feinden ist Josef Lärcher im Begriff, ein Symbol zu werden – für beide Seiten. Das bestätigt uns auch Sylvia Hamberger von der Gesellschaft für ökologische Forschung in München, in der seit Jahren mit Ausstellungen und Büchern („Sein oder Nichtsein“) Alpenzerstörung und Schäden des Skitourismus dokumentiert werden.

Für die Biologin besteht kein Zweifel, daß die großen Liftbetreiber ihre Macht nutzen werden, um gegen Lärcher und andere Aufmüpfige vorzugehen. „Die haben natürlich Angst, daß sein Beispiel Schule macht.“ Die sogenannte „Verbesserung“ von Skigebieten durch Flächenveränderungen, Schneekanonen und Pistenraupen ist für Hamberger immer „eine Verschlechterung für die alpine Umwelt. Wenn die Leute schon Skifahren müssen, dann sollen sie es tun, wenn genug Schnee da ist. Sonst sollen sie es bleiben lassen und was anderes machen. Wenn der Lärcher da ein Zeichen setzt, kann das nur nützen.“