Gorleben kommt vor das Verfassungsgericht

■ Nutzung der Atom-Zwischenlager widerspricht Grundrechten

Hannover (dpa/taz) – Seit zwölf Jahren vertritt Nikolaus Piontek die Kläger gegen das Gorlebener Zwischenlager. Ein Langzeitjob: „In diesem Rechtstreit geht es um die Atommüllentsorgung der nächsten 40, 50 Jahre“, sagt der Hamburger Rechtsanwalt. Schriftsätze im Umfang von über 1000 Seiten hat er dafür verfaßt. Auch an das Bundesverfassungsgericht hat er sich gewandt. Doch das hatte ihn aufgefordert, das Hauptsacheverfahren zu betreiben, das seit 1983 in erster Instanz anhängig ist.

Dennoch will Piontek jetzt erneut eine Verfassungsbeschwerde schreiben. „Angesichts der verfassungrechtlichen Frage, um die es eigentlich geht“, sieht er immer noch „gute Chancen in Karlsruhe“. Er will klären lassen, ob die nunmehr wichtigsten Anlagen zur Atommüllentsorgung, die externen Zwischenlager wie Gorleben und Ahaus, ohne Beteiligung der Bürger errichtet werden durften.

Die Gerichte hinken der Geschichte nach. In Gorleben sollten abgebrannte Brennelemente ursprünglich tatsächlich nur vier bis sieben Jahre lang vor der Wiederaufarbeitung zwischengelagert werden. Das Atomgesetz schreibt diesen Weg heute nicht mehr vor. „Nunmehr sind die Zwischenlager als die wichtigsten Entsorgungsanlagen für die nächsten 50 Jahre vorgesehen“, meint Piontek, „bei der Errichtung wurde aber auf ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren verzichtet.“

Die Lagerhalle von Gorleben wurde mit einer einfachen Baugenehmigung erstellt. Das Bauwerk selbst, meint der Betreiber, sei nicht sicherheitsrelevant. Nur der Betrieb wurde nach dem Atomgesetz genehmigt. Für Piontek ist es „geradezu ein Unding, daß gerade bei den nunmehr wichtigsten Entsorgungseinrichtungen das Atomgesetz nicht konsequent angewendet wird“. Grundrechte der Anwohner seien verletzt, weil keine Möglichkeit bestand, Einwände zu erheben.

Ein zweites Mal könne das Bundesverfassungsgericht daher nicht mehr auf das Hauptsacheverfahren verweisen. „Schließlich tut sich seit zwölf Jahren nichts“, sagt Piontek, „dieses Verfahren hat sich als faktisch unentscheidbar herausgestellt.“

Auch dem heute wichtigsten Bestandteil des Entsorgungskonzepts fehlt die Rechtsgrundlage. Piontek: „Der Castor ist nur als Transportbehälter, nie aber als Lagerbehälter genehmigt worden.“ Doch just das eine Exemplar, das in Philippsburg parkt, ist nicht mehr Gegenstand des verschleppten Hauptverfahrens. Zum drittenmal hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg Anfang der Woche festgestellt, daß die Genehmigung, diesen Castor in Gorleben zum deponieren, nicht zu beanstanden sei.

Aber Piontek kennt auch dafür Rechtsmittel: Falls das niedersächsische Umweltministerium den schlagzeilenträchtigen Behälter nach Gorleben läßt, sei es auf Anweisung aus Bonn, wird Rechtsanwalt Piontek wiederum vors Verwaltungsgericht ziehen...

Wieder Anschläge gegen Eisenbahnverkehr

Inzwischen ist auch die Generalbundesanwaltschaft mit Gorleben beschäftigt. Gestern morgen lag der Bahnverkehr auf der Linie Hamburg-Hannover stundenlang still. Gegen 5.20 Uhr hatte sich ein Wurfanker über der Fahrleitung in den Stromabnehmer einer Lok verkeilt, die Leitung wurde auf einer Strecke von etwa 200 Metern heruntergerissen. Verletzt wurde niemand, in der Nähe des Tatortes fand die Polizei Zettel mit der Parole „Stoppt Castor“, gezeichnet von einem „K.Ollektiv Gorleben.“ Bundesanwalt Kay Nehm ermittelt gegen Unbekannt wegen des Verdachts auf „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ in Tateinheit mit „gefährlichem Eingriff in den Bahnverkehr.“ Jürgen Voges