Vielen Dank ..., Herr Lüg!

■ Heute moderiert "die Nase" Ernst Dieter Lueg letztmalig den "Bericht aus Bonn"

Theo Waigel soll in diesen Tagen auf die Frage, wie er sich Bonn ohne den Journalisten Ernst Dieter Lueg vorstelle, geantwortet haben: „Dann muß ich eben selber durch die Nase sprechen.“

Damit ist eigentlich alles gesagt über den WDR-Studioleiter, der heute abend zum letzten Mal den „Bericht aus Bonn“ moderieren wird. Das nasale Timbre dieses journalistischen Spargeltarzans wird wohl das einzige sein, was auf Dauer von ihm im Gedächtnis bleiben wird. Immerhin: Noch zu Anfang seiner Fernsehkarriere, vor ziemlich genau dreißig Jahren, fiel Lueg vor allem dadurch auf, daß seine Flüsterstimme fast gar nicht zu hören war. Doch mit dem Aufstieg ins ARD-Studio Bonn wuchs auch sein Stimmvolumen zusehends, bis Lueg, seit dem Wechsel von Friedrich Nowottny auf den Intendantensessel des Westdeutschen Rundfunks, selber Studioleiter in der Hauptstadt wurde. Seitdem stieß er der Politprominenz wacker seine mit Metaphern und Adverbien überladenen Satzbrocken entgegen, rudimentäre Schachtelsätze, denen die Anstrengung des Denkens stets anzumerken war, und die darum oft genug irgendwo zwischen Großhirn und Stimmritze steckenblieben.

Gerade darin erwies sich Ernst Dieter Lueg als ein typischer Bonner Journalist. Immer bemüht, nicht im Kotau vor den Mächtigen zu erstarren, krampfte er seine verqueren Fragen heraus, die allen Lehrbüchern über Techniken des Interviews hohnsprechen. Stets versuchte er mit langatmigen Vorreden, seine Interviewpartner zu grundsätzlichen Erklärungen zu bewegen – und erntete hohle Phrasen. Provokative Allgemeinplätze brachten ihm unwirsche Antworten ein. Und mit seinen ungeschickten, oft aggressiv wirkenden Suggestionen brachte er die Befragten nicht selten in Rage. Daß der Kanzler diesen Journalisten zum Schluß ignorierte, läßt sich da beinahe nachvollziehen. Interviews mit Ernst Dieter Lueg waren nicht nur für das Publikum eine Tortur.

Jetzt aber, wo der Mann den Ruhestand erreicht hat, wird freilich mit aller publizistischen Kraft an Legenden gestrickt, hinter denen die Farblosigkeit Luegs verschwinden soll. Ein „Schlachtroß“ sei er gewesen, parteipolitisch unabhängig, ein „Bärbeiß“, der „mit Helmut Kohl und anderen Politikern ,zusammengerasselt‘ sei“, dichten die Agenturen ihm nun hinterher.

Und Lueg selbst verklärt eifrig die siebziger Jahre, als es noch „Elefanten“ gegeben habe, mit denen man sich als Journalist auseinandersetzen konnte. Kein Wunder: Fällt doch in diese Zeit die einzig wirkliche Pointe, an der Lueg als Journalist zumindest beteiligt war. Eigentlich gehört diese Anekdote Herbert Wehner, sie darf jedoch in keinem Porträt über Ernst Dieter Lueg fehlen: Als Wehner am Wahlabend 1976 die aktuellen Hochrechnungen nicht parat hatte, bellte er den Bonner Journalisten an: „Sie wissen nichts ..., und ich weiß nichts ..., Herr Lüg.“ Um eine Eingebung ringend, verabschiedete sich der so Gedemütigte von Wehner mit der mißglückten Retourkutsche: „Vielen Dank ..., Herr Wöhner.“

Gestützt auf diese Episode darf Lueg in allen Interviews, die ihn in den letzten Wochen ehren, schon jetzt für seine demnächst erscheinenden Erinnerungen werben und auf die Standardfrage nach seinem Pensionsärsdasein stets die theoretisch gemeinte Gegenfrage stellen: „... oder können Sie sich vorstellen, daß ich im Garten sitze oder auf der Bärenhaut liege?“ O ja, Herr Lueg, das können wir nicht nur, das möchten wir uns sogar vorstellen. Achim Baum