Abweisend zärtlich

■ Bis auf die Haut: Geneviève Cadieux' Körperbilder im Bonner Kunstverein

Wie nah kommt man dem menschlichen Körper? Die Kanadierin Geneviève Cadieux kommt ihm immerhin so nah, daß sich Nähe und Distanz nicht mehr unterscheiden lassen.

Bei fast allen Arbeiten, die im weiträumigen Bonner Kunstverein gezeigt werden, spielen Extreme ineinander. Eine großformatige Fotografie zeigt den nackten Rücken eines älteren Mannes. Während vom Kopf nur Halsansatz und weißes Haar zu sehen sind, modelliert das seitlich einfallende Licht die Furchen und Erhebungen von Rückgrat und Schulterblatt als karge Körperlandschaft.

Aus der Schublade „Künstlerfotografie“ wäre dieses Bild nicht weiter hervorholenswert, gäbe es nicht ein zweites, das daraus ein Dyptichon macht. Nichts beweist zwar deren Zusammenhang. Und doch vermuten die Betrachter sogleich, daß es sich bei der Reihe unregelmäßiger rötlicher Flecken um eine fotografische Vergrößerung von Muttermalen oder Pigmentstörungen auf ebenjenem Rücken handeln könnte.

Ob Schuppenflechte, malignes Melanom oder Operationsnarbe, die Menschen bleiben stets anonym, unkenntlich – Cadieux' Arbeiten konzentrieren sich auf Details ihres Körpers und besonders auf deren Oberfläche, die Haut, und was sich auf ihr abzeichnet: Bedrohung, Gewalt, Krankheit. Daß der vergrößerte Ausschnitt nicht einlöst, was er – zumindest als medizinisch-technische Bildgattung – verspricht, daß die Vergrößerungen zu keinem Erkenntnisgewinn beitragen, ist das Irritierende daran. Punktgenauigkeit scheint das Sichtbare im Gegenteil zu verrätseln.

Die Bilder der 1955 geborenen Geneviève Cadieux stellen weder Diagnosen, noch geben sie Antworten auf Körperdebatten. Daß sie dies mit der Fotografie tun, dem „Medium der puren Oberfläche“ (Kunstvereinsleiterin Annelie Pohlen), gehört zu ihrer Doppelstrategie, wie auch die Form des Diptychons, die Cadieux bevorzugt. Intimität wird in Frage gestellt durch die Momumentalität der Blow-ups, suggestive Nähe durch die glatte, kühle Materialität, die das Medium schafft.

Was sich dahinter verbirgt, ist allerdings eine subtile Analogie der Oberflächen: der Haut und des Bildes – zweier „Medien“. Denn schließlich kommuniziert die Haut, sie vermittelt sinnliche Reize, reagiert empfindlich auf Kälte, Hitze, Berührung, ist durchlässig für allerlei Körpersäfte. Das sind die Fotografien natürlich nicht, jedenfalls nicht buchstäblich, doch wirken sie „durchlässig“ für Assoziationen und Gefühle, wobei sie bei Cadieux eine heiß-kalte Empfindlichkeit entwickeln.

„Le corps du ciel“ (1992) schließt in wohlkalkulierter Symmetrie einen dunkel dräuenden Wolkenhimmel mit dem von einem violetten Hof umgebenen rötlichen Bluterguß kurz. Geneviève Cadieux zeigt nicht die Wunde, sondern die Narbe, nicht die Gewalt, sondern die Bedrohung; nicht den Schlag, sondern dessen Mal, und nicht den Schmerz, sondern die Erinnerung an ihn.

Auch „Amour aveugle“ (1992), ein Duett in schweren Holzrahmen aus verschleiertem Augenpaar und knallroten, leicht geöffneten Lippen, von denen nicht klar ist, ob sie derselben Person gehören, zeigt solcherart Abgrund zwischen Angst und Verführung, zwischen Narzißmus und Erotik. Doch hier wird deutlich, woher die Bildstrategien stammen, nämlich nicht aus der Fotografie: das grobporige Raster ist pointilistisch, das Lippenrot könnte von Warhol sein, der Bildausschnitt von Man Ray.

Was Cadieux mit Künstlern wie Thomas Florschuetz, Helen Chadwick oder Cindy Sherman verbindet, ist eine Auratisierung des Mediums Fotografie. Sie alle reagieren auf die Besetzung des Körpers als „Schlachtfeld sich gegenseitig bekämpfender ideologischer, soziologischer, sexueller und ethischer Diskurse“ (Jan Foncé im Katalog). Cadieux, könnte man sagen, reagiert abweisend zärtlich. Thomas Fechner-Smarsly

Bonner Kunstverein, bis zum 19. Februar. Katalog: 35 DM