Das schneefreie Gebirge

Die spanische Sierra Nevada macht ihrem Namen wenig Ehre, und die von Ökologen scharf kritisierte Ski-WM ist stark gefährdet  ■ Aus Pradollano Ulli Badura

Ungewisser denn je ist, ob am 29. Januar ein renommierter Hobby-Skifahrer, der spanische König Juan Carlos, tatsächlich die feierliche Eröffnungsrede der Alpinen Skiweltmeisterschaften in der Sierra Nevada, im südöstlichen Zipfel Andalusiens nahe Granada, halten wird. Eine feierliche Bittprozession um den ersehnten Schneefall brachte nur kurzfristigen Erfolg, der folgende Frühlingseinbruch mit Plusgraden und Regen ließ nicht nur die spärliche weiße Pracht verschwinden, sondern gefährdet auch die bereits präparierten Kunstschneepisten. Vor allem fehlt es jedoch an Trainingsmöglichkeiten und den nötigen Sturzräumen für die WM-Rennen. Marc Hodler, der Präsident des Internationalen Ski-Verbandes (FIS), sprach dennoch von einer 80:20-Chance, daß die Wettkämpfe stattfinden können, doch angesichts der trüben Wetterprognosen mutet diese Einschätzung ziemlich optimistisch an. Am Donnerstag soll die Entscheidung fallen, die Skiindustrie sprach sich bereits strikt dagegen aus, die WM unter solch unwürdigen Bedingungen abzuhalten.

Dies wäre eine Katastrophe für die spanischen Organisatoren, die rund zwei Milliarden Mark in die WM investierten und sich dafür weltweite Publicity und einen gehörigen Aufschwung der Region versprachen. Ein Skiort aus der Retorte – das ist die Estación de Esqui Pradollano. Vor 30 Jahren standen hier gerade mal ein Hotel, eine Jugendherberge und ein paar kleine Häuser und Hütten. Mit den Skiläufern kam der Beton. In den Hotels – überwiegend Hochhäuser mit zehn und mehr Stockwerken – warten 4.700 Betten auf Schläfer. Dazu kommt noch mindestens dieselbe Zahl an Plätzen in Apartments. Fairerweise muß man zugeben, daß die monströse Häßlichkeit vergleichbarer Urbanisationen – zum Beispiel Tignes in Frankreich – nicht erreicht wird. Es gibt nicht nur Quaderarchitektur, sondern optische Auflockerung durch Giebeldächer, Erker, Holzverkleidungen und ähnliches.

Von der Estación bringen 19 Lifts mit einer Stundenkapazität von 31.500 Passagieren die Schneesüchtigen zu den Pisten. 34 sind es mit einer Gesamtlänge von 58 Kilometern. Die Strecken für die WM-Wettbewerbe wurden im Herbst umgebaut, „um sie noch attraktiver zu machen“, wie das offizielle Programmheft in schöner Offenheit erklärt. Ein in den letzten zwei Jahren installiertes System von Schneekanonen soll mit einem Wasserverbrauch von 360.000 Litern stündlich Unabhängigkeit von den Launen Frau Holles garantieren. Bei Plusgraden nützt das aber auch nichts.

Erreicht wird die Estación mit dem Auto. Dafür wurde die bisherige zweispurige Straße autobahnähnlich dreispurig ausgebaut. Das Dorf ist so von der Innenstadt Granadas aus in 30 Minuten erreichbar. Zu sehen sind die lauten Stinker aber nicht. Sie werden in der größten Tiefgarage Spaniens mit 2.740 Stellplätzen versteckt. Oberirdisch ist nur der Parkplatz für 100 Busse. „Mit unseren Einrichtungen befinden wir uns auf höchstem europäischem Niveau!“ erklärt stolz Manuel Santaella, Pressechef des Organisationskomitees.

Eine Freude, die von vielen nicht geteilt wird. Das Skirevier liegt mitten im Naturschutzgebiet Sierra Nevada. Es finden sich dort über 2.000 verschiedene Pflanzenarten, von denen 64 ausschließlich in dieser Gegend wachsen. Es gibt seltene Insekten, Schmetterlinge und Kleinreptilien. Die Sierra Nevada ist Jagdrevier der wenigen noch übriggebliebenen Königsadler und Refugium der spanischen Bergziege. Das Projekt „Mundial“ wurde deswegen von Anfang an von Umweltschützern bekämpft. Mit Unterschriftensammlungen, Demonstrationen und einer „Besetzung“ in Form eines Camps im Sommer 94.

Neben Radikalökologen, die jede touristische Nutzung ablehnen, stehen diejenigen, die gegen das Projekt in dieser Form sind. Zu ihnen gehört Jesús del Río Sánchez, Diplom-Biologe und umweltpolitischer Sprecher der andalusischen Izquierda Unida – Los Verdes (Vereinigte Linke – Die Grünen): „Unter Umweltgesichtspunkten ist der Ausbau der Station für die WM nicht zu rechtfertigen. Die vertretbare Grenze wurde schon in den siebziger Jahren erreicht.“ Für ihn dient das Ganze nur dem Gewinnstreben der Hoteliers und Banken. Und das auf Kosten des Steuerzahlers.

Ganz anders sieht das freilich Juan Antonio Martin Vivaldi, Direktor der staatlichen Umweltbehörde (Agencia del Medio Ambiente): „Wir haben alles getan, um die Beeinträchtigungen der Umwelt so gering wie möglich zu halten.“ Er verweist darauf, daß zwischen 1993 und 1995 umgerechnet 14 Millionen Mark für Öko- Maßnahmen aufgewandt werden – hauptsächlich für die Neuaussaat von Gräsern auf den plattgewalzten Pisten und die Wiederaufforstung der für den Bau von Lifts und Versorgungsstraßen geschlagenen Schneisen. Die Finanzierung erfolgt letztlich durch die Benutzer: Das Liftunternehmen hat sich verpflichtet, drei Prozent seines Umsatzes für diese Zwecke abzuführen. Das ist einmalig in Europa, so Martin Vivaldi.

Alles für die Katz', wenn die sonst sehr schneesichere Sierra Nevada ausgerechnet im WM-Winter den Frühling ausruft. Die größte Katastrophe scheint den Organisatoren jedoch erspart zu bleiben. Marc Hodler schloß eine örtliche Verlegung der WM aus und regte an, die Titelkämpfe im Notfall nach der Saison oder sogar erst 1996, auf jeden Fall aber in der Sierra Nevada, durchzuführen.