Gegen das Absolute

■ Ein Essay-Band schöpft aus dem Nachlaß von Manès Sperber

Als Manès Sperber ein Jahr vor seinem Tod den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt, wurde er wegen sowjetkritischer Sätze in seiner Dankrede von Bernt Engelmann, damals Vorsitzender des westdeutschen Schriftstellerverbandes, aufgefordert, den Preis schleunigst wieder zurückzugeben.

Vor zwei Monaten fand nun in Berlin eine internationale Sperber- Konferenz statt, die den Titel „Eine Ethik des Widerstands“ trug, und bei der ausgerechnet Manfred Stolpe das Grußwort hielt und „Anpassung als Überlebensstrategie“ rühmte. Viele der Zuhörer gaben sich als „staatstreue Juden aus der DDR“ zu erkennen und verbreiteten sich über „die abnehmende Aktualität des Renegaten Sperber“, während Tagungsleiter Hans Joachim Schoeps vom Moses- Mendelssohn-Zentrum frisch-fröhlich einen „Solidaritätsbrief“ mit dem Wiener Linksnazi Alfred Hrdlicka verlas.

Und Sperber? „Es ist nicht so sehr der unbrechbare Wille zur Hoffnung als die kategorische Ablehnung der Mutlosigkeit, somit ein Widerstand gegen die Resignation, der mein Schreiben bestimmt.“ In dem Band „Anpassung und Widerstand. Über den unvernünftigen und vernünftigen Gebrauch der Vernunft“ sind jetzt Essays von Manès Sperber publiziert, die aus seinem Nachlaß stammen oder schon vor Jahrzehnten an verstreuten Stellen gedruckt worden waren. Und siehe da, sie haben nichts von ihrer Frische verloren, weil ihr Autor einfach mehr war als (wieder O-Ton der erwähnten Sperber-Tagung) „einer, der heute die Götter verbrannte, die er gestern noch anbetete“.

Natürlich leistete auch er sich seine Fehleinschätzungen, etwa was das recht undifferenzierte Lob der Atomenergie betraf oder die Reduzierung der 68er Revolte auf „kindische Entwertungstendenzen“. Aber Sperber war alles andere als ein eilfertiger Konvertit. 1905 im galizischen Zablotow geboren, wurde sein ganzes Leben zu einem Paradebeispiel dafür, wie man zum „treuen Ketzer auf der Brücke ohne anderes Ufer“ wird.

In seinem feinfühligen Einführungs-Essay beschreibt Wilhelm von Sternburg, Herausgeber des Bandes, die erste Revolte des jungen Sperber im heimatlichen Schtetl: „Und so steigt der Knabe eines Tages auf das Dach und wirft Kieselsteine gegen den Himmel, um Gott zu treffen und ihn mit dieser Herausforderung zu zwingen, sichtbar zu werden.“ Sperber: „Mich empörte es, daß Gott uns die Treue so schlecht lohnte, ja, daß er uns bestrafte und nie belohnte.“

Sein Trotz und sein Gerechtigkeitsgefühl brachten ihn später zu wohlüberlegten Schritten: Nach dem Ersten Weltkrieg nach Wien vertrieben, brach er dort mit der Religion, entfremdete sich später auch seinem Lehrer Alfred Adler, als dessen Individualpsychologie ebenfalls religiöse Züge anzunehmen drohte und verabschiedete sich schließlich unter dem Eindruck der Moskauer Prozesse und des Hitler-Stalin-Paktes vom Kommunismus.

So stellte er sich auch eine demokratische Linke vor – gegen den Strom schwimmend, das Absolute hinterfragend und die Fähigkeit, „sich einzugestehen, daß man selbst partiell immer im Irrtum ist“. Aber er war kein Schwärmer; was der Utopist in ihm vielleicht erhoffte, mußte der Psychologe Sperber immer wieder anhand der Realität relativieren.

Er wußte genau, wie weit Haß, Verrat und Antisemitismus, denen er umfangreiche Essays widmete, für labile Menschen Stützfunktionen haben, wie notwendig sie sind für das alltägliche „falsche Leben“ in repressiven Strukturen. Er verstand es, ohne sich damit abzufinden. Sperber schreibt: „Man braucht nicht zu erlernen, ein Sklave zu sein, aber um ein wirklich freier Mensch zu werden, bedarf es einer langen Lehrzeit.“

Die von ihm geforderte „Erziehung zur Freiheit“ schließt individuelle Verantwortlichkeit ein und „aufrichtig gemeinte schizoide Heuchelei“ aus. Eine kleine Sensation sind in diesem Zusammenhang seine Recherchen zum Fall des Ehepaars Rosenberg, mit dem noch heute jeder politisch korrekte Gutmensch seine Kritik an den USA belegt. Sperber, der natürlich gegen das Todesurteil war, weist nach, daß die Rosenbergs tatsächlich KGB-Spitzel waren, und daß Kommunisten während des Krieges die amerikanische öffentliche Meinung so zu manipulieren wußten, daß zuerst einmal die trotzkistischen Konkurrenten verhaftet und ausgeschaltet wurden.

Seine Suche nach der Wahrheit, die nicht vor Idolen haltmachte, war die Mitgift seiner jüdischen Tradition, die er eher wegen ihrer Ethik als ihrer Religiosität schätzte: „Nicht nur weil ich ungläubig bin, sondern weil ich zum Judentum gehöre, wittere ich in allen heidnischen Praktiken die feige Selbsterniedrigung des Menschen vor Tieren, Ungeheuern oder idolisierten Mitmenschen... Jahve brauchte weder Tempel noch Opfer; er folgte seinen Getreuen ins Exil. Um den Glauben Moses‘ hochzuhalten, genügte es, den Geboten gemäß zu leben, die Thora zu kennen und gute Werke zu vollbringen. Das wahre Vaterland, das auch der stärksten Armee widerstand, war das Gesetz.“

Antisemiten machen gewöhnlich das Judentum auch für das Entstehen der Demokratie verantwortlich – und sie haben recht. Ethische Werte, ein für alle geltendes Gesetz, Universalismus ohne mystisches Brimborium fanden sich zuerst im Glauben des Volkes Israel.

Und hiermit ist Manès Sperber auch für die Rechten ein Ärgernis geworden, ebenso wie für die hochfliegenden Träume vieler Linker: „In allem, was ich je geschrieben habe, ging es mir nicht um die imaginäre Freiheit in irgendeinem Paradies, sondern um unsere Selbstbefreiung innerhalb der Conditio humana. Ich bewundere die bestehende Demokratie nicht. Sie ist vorerst ein Ausgangspunkt – nicht viel mehr. Doch die Werte, die sie repräsentiert – und die zum Teil negativ determiniert sind – sind der Mühe wert, den Kampf aufzunehmen.“ Marko Martin

Manès Sperber: „Anpassung und Widerstand. Über den unvernünftigen und vernünftigen Gebrauch der Vernunft“. Europa Verlag. Wien/München 1994. 223 Seiten. 39,80 DM