Kulinarischer Beutezug mit Plastiktüte

„Grüne Woche“ läßt bis nächsten Sonntag Kühe im Kreis und Besucher hektisch durch überfüllte Gänge laufen / Morgendlicher Andrang bei Brauereien / Halbe Million Besucher erwartet  ■ Von Christian Arns

Eigentlich wirkt der Mittvierziger ganz seriös, doch neben dem Stand der Wurstfabrikanten aus Bayern ist damit Schluß: „Hol mal“, herrscht er seinen etwa achtjährigen Sohn an, der sofort versteht. Flink schlängelt sich der Kleine zum Stand und versucht einen Probierhappen zu ergattern. Oft schon scheint er Erfolg gehabt zu haben, denn sein Vater schleppt in jeder Hand zwei knackevolle Plastiktüten. Mit ihnen hat er gerade am Wochenende kaum eine Chance, in einigermaßen normalem Tempo durch die Gänge zu kommen, denn diese sind total überfüllt. Die 60. Internationale Grüne Woche ist seit gestern geöffnet, und bis zum nächsten Sonntag werden wieder Hunderttausende ihre 17 Mark Eintritt als Bezahlung für einen ganztägigen Brunch ansehen. „Insgesamt kamen 519.389 Besucher“, verkündet die Messe Berlin stolz über die letztjährige Veranstaltung, um deren wirtschaftliche Bedeutung zu unterstreichen.

250 Tagungen gibt's während der Freß-Messe

Diese allerdings hängt nicht von den Berlinern ab, die in ihre Tüten stopfen, was greifbar ist, sondern von den Fachbesuchern. Und die stellten 1994 nur ein gutes Sechstel der Besucher. Doch für sie ist ohnehin nicht in erster Linie die Ausstellung wichtig, die den Fachleuten nur gestern vormittag vorbehalten war, sondern das Rahmenprogramm.

Mehr als 250 Tagungen, Seminare und Symposien finden vor allem im ICC statt. Bei vielen von ihnen tauschen Fachleute neueste Erkenntnisse in einzelnen Ernährungsbereichen aus, in anderen wird künftige Politik beraten. So wird der anerkannt erfolgreiche Lobbyismus des Deutschen Bauernverbandes (DBV) für dieses Jahr sicher in weiten Teilen beim 15. Internationalen Forum Agrarpolitik festgelegt.

Bauern legen ihre Politik fürs neue Jahr fest

Die „Zukunft der EU-Tierseuchenpolitik“ steht auf dem Programm, und die Ergebnisse werden Politiker in Bonn und Brüssel sicher noch länger beschäftigen als die Gespräche zwischen Stand- Mitarbeitern und interessierten Konsumenten. So ließ es sich DBV-Präsident Constantin Freiherr Heereman auch nicht nehmen, vor der Presse die „negativen Konsequenzen der EG-Agrarreform und der Gatt-Verträge“ zu verteufeln und gleichzeitig geschickt auf die Bedeutung der Landwirtschaft als Arbeitgeber hinzuweisen.

Den Besuchern der Ausstellung bietet sich dennoch das beschauliche Bild deutscher Bäuerinnen und Bauern, zum Beispiel bei der heimelig anmutenden Gemeinschaftsschau „Leben auf dem Lande“. Inhaltlicher Schwerpunkt der Image-Polierung ist in diesem Jahr „Kinder – die Zukunft des ländlichen Raumes“. Berlin wird sich dabei mit der Jugendfarm Lübars beteiligen – womit sonst?

Gespannter allerdings werden die 511 Aussteller aus dem Ausland erwartet: 62 Länder werden vertreten sein, acht mehr als im vergangenen Jahr. Sie präsentieren ihre Produkte teilweise selbst, manche werden aber auch von Importeuren vertreten. Inländische Aussteller sind dennoch erheblich zahlreicher: 761 haben sich angemeldet, obwohl viele von ihnen nur in ihrer Heimatregion von Bedeutung sind. Doch gerade deren Bedeutung möchte die Centrale Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) besonders herausstellen; sie stellt ihre Ausstellung daher unter das Motto „Spezialitäten aus Deutschland – die ganze Vielfalt der Regionen“.

Zwei Regionen werden sich in diesem Jahr an einem eigenen Stand vorstellen: Saale-Unstrut und Kulmbach. Letztere hat erheblich bessere Chancen, das Interesse der Gäste auf sich zu ziehen, verbindet man doch mit ihr, was ohnehin so viele Besucher Jahr für Jahr bei der Grünen Woche begeistert: Bier.

Bereits in den letzten Jahren waren die Stände der Brauereien oft schon kurz nach der morgendlichen Öffnung umlagert von Besuchern, die Vor- und Nachteile nicht gerade ernährungswissenschaftlich, wohl aber erfahrungsreich diskutierten. Selbst Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe hatte im vergangenen Jahr Probleme, zum Stand der Ostbrandenburger Klosterbrauerei Neuzelle vorzudringen, um diese auszuzeichnen – das Votum der Messebesucher war bereits eindeutig, der Zugang versperrt.

Die Deutschen brauen unglaublich viel Bier

Damit das Interesse an deutscher Gersten-Kaltschale auch zukünftig nicht nachläßt, ist in der Halle 23a die Sonderschau „Bier und Gastronomie“ des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten aufgebaut. Immerhin brauen die Deutschen nach Angaben der Messe Berlin etwa ein Zehntel der weltweit 1,2 Milliarden Hektoliter, nämlich 115.000.000 Liter! Damit liegt Deutschland hinter den USA und China auf Platz 3. In den deutlich über tausend Brauereien werden 58.000 Personen beschäftigt, um die 5.000 unterschiedlichen Biermarken herzustellen. Jahresumsatz: etwa 20 Milliarden Mark.

Da können die Hersteller von Wein und Sekt nur neidisch aus den Nachbarhallen schielen, obwohl die Deutschen mit durchschnittlich gut 5 Liter Sekt pro Kopf im Jahr „Weltmeister“ sind.

Gar nicht weit, in Halle 21b, wird bereits am Donnerstag um 15.45 Uhr über Hanf diskutiert, allerdings nur seine Einsatzmöglichkeiten als nachwachsender Rohstoff. Als solcher wird bei der Grünen Woche aber vor allem Mais präsentiert: Das deutsche Maiskomitee, das bislang nicht als außerordentlich populär gilt, will mit einem „Maisfeld en miniature“ in Halle 26b „auf die noch schlummernden Reserven dieser ertragreichen Pflanze“ hinweisen. Vielleicht kommen dennoch am Freitag um 12 Uhr mehr Besucher, wenn es heißt: „Kochen mit Bier“.