Erhellendes im Synagogen-Prozeß

Zwei Bewohnerinnen der Lübecker Synagoge bezeugen, daß in der Nacht des Anschlages Licht im Hause brannte, und belegen damit den Mordvorwurf der Anklage  ■ Aus Schleswig Kersten Kampe

Zu einem Kernpunkt der Anklage gegen die vier mutmaßlichen Brandstifter der Lübecker Synagoge ist das Oberlandesgericht in Schleswig gestern am 11. Verhandlungstag vorgedrungen. In der Nacht des Anschlages am 25. März 1994 hat, so bekundeten Zeugen, in den Wohnungen über der Synagoge Licht gebrannt. Die Angeklagten, die zum Teil geständig sind, hatten bislang erklärt, sie seien davon ausgegangen, daß keiner im Haus gewesen sei. Die Bundesanwaltschaft wirft den vier Männern aus Lübeck im Alter zwischen 20 und 25 Jahren fünffachen versuchten Mord und schwere Brandstiftung vor.

Eine 32jährige Hausbewohnerin, die rechts im ersten Stock des Gebäudes wohnt, erklärte vor dem Zweiten Strafsenat, sie lasse immer Licht an, um Einbrecher abzuschrecken. Auch auf der linken Seite des Gebäudes, wo laut Anklage die Molotow-Cocktails in einem Eingang gezündet wurden, soll eine Lampe gebrannt haben. Sie müsse bei Licht eingeschlafen sein, sagte die ebenfalls 32jährige Hausbewohnerin. Denn als ein Nachbar sie alarmierte, sei sie noch angezogen gewesen, und sie könne sich nicht erinnern, dann Licht angemacht zu haben. Der Brandanschlag war kurz nach 2 Uhr in der Nacht verübt worden.

„Phantom Torsten“ verzögerte Verhandlung

Die Annahme, daß Licht in den oberen Stockwerken brannte, ist ein Teil der wackeligen Basis, auf die sich die Anklage der Bundesanwaltschaft wegen fünffachen versuchten Mordes stützt. Drei der vier Angeklagten, die ihre Tatbeteiligung zugeben, haben allerdings bisher bestritten, Licht gesehen zu haben. Der vierte Angeklagte, Dirk B., behauptet seit Beginn, nicht dabeigewesen zu sein.

Daß das Gericht bis zum zehnten Verhandlungstag mit der Sachaufklärung nicht viel weiter gekommen ist, lag an dem „Phantom Torsten“. Mehrere Prozeßtage verstrichen damit, nach diesem möglichen fünften Täter zu fahnden. Der Onkel und der Cousin von Nico T. hatten über eine Hamburger Boulevard-Zeitung einen Skinhead namens Torsten mit Hakenkreuz auf dem Arm und einer Narbe im Gesicht ins Spiel gebracht. Doch gefunden wurde dieser Mann nicht. Die beiden müssen jetzt wegen des Verdachts der Irreführung des Gerichtes mit strafrechtlichen Folgen rechnen.

Kaum ist eine Spekulation vom Tisch, wird schon ein neues Gerücht von einem möglichen, bisher unbekannten Drahtzieher gestreut. Ausgangspunkt dafür ist der Inhalt eines Brandsatzes, der nach dem Anschlag an der Synagoge gefunden worden war.

Mollis mit ungewöhnlicher Mischung

Der Molotow-Cocktail bestand aus 80 Prozent Brennspiritus und 20 Prozent Petroleum. Ein ungewöhnliches Gemisch, dessen Herkunft völlig offen ist. Abgestellt hatte ihn der 20jährige Boris Sven H.-M. nahe der Synagoge. Doch der ebenfalls 20jährige Nico T. hatte ausgesagt, er habe für die Mollis einen Kanister mit Mofa- Benzin gefüllt. Den Kanister will der 20jährige am Tag vor dem Anschlag bei einem Autoaufbruch gestohlen haben. Doch eine Anzeige, die auf die Zeit- und Ortsangaben von Nico T. paßt, soll der Polizei nicht vorliegen. Bisher war von den Strafverfolgern vermutet worden, daß Dirk B. die Brennflüßigkeit besorgt hatte.

Ungeklärt ist bisher auch der zweite Kernpunkt, auf den die Bundesanwaltschaft ihre Anklage wegen versuchten Mordes stützt. Anders als nach Aktenlage vor dem Ermittlungsrichter hat Boris Sven H.-M. vor Gericht nicht erklärt, es sei vor dem Anschlag darüber gesprochen worden, daß Menschen in dem von den Angeklagten als „Judenschule“ bezeichneten Haus wohnen.

Auch auf Motivsuche muß sich das Gericht noch begeben. Laut Anklage sollen Nico T., Boris Sven H.-M., Dirk B. Und Stephan W. die Synagoge aus Haß gegen Ausländer und Juden angezündet haben. Wortkarg antworteten die vier bisher auf Fragen zu ihrer politischen Einstellung. Dirk B. und Stephan W. erklärten, sie hätten nichts gegen Juden und Ausländer, Nico T. und Boris Sven H.-M. räumten teilweise ihre rechtsradikale Gesinnung ein.