„Der Westen finanziert den Krieg“

■ Der SPD-Abgeordnete und letzte DDR-Außenminister Markus Meckel, eben aus Moskau zurückgekehrt, fordert eine härtere deutsche Reaktion auf den Tschetschenien-Krieg

taz: Sie haben in Moskau mit Vertretern von Menschenrechtsgruppen und Politikern des „demokratischen Lagers“ gesprochen. Was erwarten diese Gruppen vom Westen?

Markus Meckel: Sie sind ausgesprochen enttäuscht. Sie erwarten eine klare Verurteilung der Invasion, nicht nur telefonisch, sondern auch öffentlich. Sie erwarten, daß die Organsiation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) auch ohne Zustimmung Rußlands Beobachter nach Tschetschenien schickt. Und sie erwarten ökonomischen Druck – westliche Kredite sollen storniert werden, bis die Kämpfe beendet worden sind. Es ist ein Unding, daß der Westen den Krieg finanziert. Zur Zeit fordern die Reformer noch nicht, daß auch der Handel eingestellt wird. Es wird aber nicht ausgeschlossen, daß dieser Schritt einmal nötig sein wird.

Ihre Gesprächspartner waren also nicht der Ansicht, daß wirtschaftliche Sanktionen – wie Außenminister Kinkel sagt – die falschen Kräfte in Rußland stärken?

Nein. Denn bereits jetzt stützt sich Jelzin auf Schirinowski.

Wie wollen die demokratischen Politiker den Krieg beenden?

Sie fordern, daß Jelzin vor der Duma auftritt, den Einmarsch als klaren Fehler russischer Politik benennt und sich von den Politikern trennt, die die militärische Lösung gefordert haben. Außerdem müsse Moskau auf die Einsetzung der Marionettenregierung verzichten; Verhandlungen müßten mit der amtierenden Regierung Tschetscheniens geführt werden. Die Duma-Abgeordneten machten auch deutlich, daß grundsätzliche Fragen des politischen Mechanismus in Rußland geklärt werden müssen. Es geht nicht, daß der Sicherheitsrat den Einmarsch in Tschetschenien beschließt und das demokratisch gewählte Gremium nicht einmal gefragt wird.

Fordern die russischen Demokraten die Anerkennung der Unabhängigkeit Tschetscheniens?

Die große Mehrheit ist der Ansicht, daß Tschetschenien Teil der russischen Föderation bleiben muß. Einige glauben jedoch, daß der Krieg so kontraproduktiv war, daß die Einheit Rußlands nicht erhalten werden kann. Bei den zukünftigen Verhandlungen sollte es am Anfang um ganz konkrete Dinge gehen: Humanitäre Hilfe, Wiederaufbau, Verwaltungsstrukturen, freie Wahlen. Die Frage des Staates an den Anfang zu stellen hieße, den Krieg fortzusetzen.

Erklärt sich die westliche Unterstützung für Jelzin nicht vor allem dadurch, daß noch kein demokratischer Nachfolger in Sicht ist?

Wir dürfen keinen neuen Hoffnungsträger suchen. Es ist nicht unsere Aufgabe, einen neuen russischen Präsidenten zu wählen oder ihn abzusetzen. Es geht nicht um Personen, sondern um Inhalte. Rußland muß demokratische Strukturen aufbauen und geschlossene Verträge einhalten. Wenn Jelzin dies tut – gut. Wenn nicht, müssen wir mit Rußland so zusammenarbeiten, wie wir es unter Breschnew getan haben und wie man es auch mit einem Präsidenten Schirinowski tun müßte.

Wie stark ist das demokratische Lager?

Relativ schwach. Deshalb müssen wir es stärken. Wenn die Demokraten in Rußland Kontakte zum Ausland haben, hebt dies ihr Ansehen in Rußland. Die augenblickliche Mehrheit in der Gesellschaft gegen den Krieg ergibt sich, weil viele unterschiedliche Kräfte zusammenwirken. Es gibt in Rußland zur Zeit ein Gleichgewicht der Schwäche: Die Schwäche des Präsidenten, der merkt, daß er auch nicht alles machen kann, und die Schwäche des Militärs, die Schwäche der Demokraten, die Schwäche der Duma, die deutlich an Einfluß verloren hat.

Hat sich durch diese Reise Ihre Meinung zur Nato-Osterweiterung geändert?

Ich bin dafür, die ostmitteleuropäischen Staaten in EU, Nato und WEU zu integrieren und gleichzeitig intensive Vertragsbeziehungen mit Rußland aufzubauen, bis hin zu einem Sicherheitsvertrag. Das hat sich nicht verändert. Ich sehe aber, daß die jetzige Haltung Moskaus völlig konträr zu seiner bisherigen Außenpolitik ist. Rußland wollte ja statt der Nato-Erweiterung eine Stärkung der OSZE. Jetzt ist die OSZE geschwächt und die Forderung nach Nato-Erweiterung ist stärker geworden.

Heute diskutiert der Bundestag über Tschetschenien. Was fordert die SPD von der Bundesregierung?

Wie die Demokraten in Moskau sind wir für einen Stopp der Rußland-Kredite und eine OSZE-Beobachtermission auch gegen die Zustimmung Rußlands. Außerdem fordern wir, daß der UNO-Sicherheitsrat sich mit Tschetschenien befaßt. Interview: Sabine Herre