Verglimpfte Pferdeäpfel

■ Darf man mit Deutschlandfahne Exkremente beleidigen? Nein, spricht die Berufungsinstanz

Aachen (taz) – Ein aufsehenerregender „politischer Prozeß“ (so der Verteidiger) erschüttert seit über drei Jahren die Stadt Aachen. Tatzeit: 1991, Totensonntag. Tatort: das „Ehrendenkmal“. Unentwegte aus dem ewigen Vorgestern beklagen wieder einmal das kriegsbedingte Dahinscheiden von Hitlers Mörderbanden in Uniform. Einer läßt dabei ungeniert und ungestört die Reichskriegsfahne wehen. Da schreitet der Chemiefacharbeiter und Politkünstler Christian Wagemann zur Tat. Er steckt ein postkartengroßes Fähnlein aus Krepp, schwarz-rot-gelb designt, in einen Haufen frischgefallener Pferdeäpfel (von zudem hoheitlichen Bullenpferden). Für wenige Sekunden nur. Doch ein Polizist fühlt sich beleidigt, zerstört das sensible Arrangement und zeigt den Täter an. Der Skandal nimmt seinen Lauf.

In erster Instanz verurteilt eine Amtsrichterin den Täter zu 1.200 Mark Geldbuße. Wegen „Verunglimpfung des Staates“.

Jetzt die Berufung vor dem Landgericht. Da wird – allein am ersten Verhandlungstag volle sieben Stunden – energisch darüber diskutiert, ob es wirklich eine Deutschlandfahne war oder nur ein buntes Gebilde (mit einem gelben statt hoheitlich güldenen Farbstreifen). Da werden Zeugen ausgefragt, wie groß genau das inkriminierte Exkrementengebilde gewesen sein mag. Zudem Spekulationen angestellt, mit welch perfidem Grad von Planung oder Spontaneität der Angeklagte wohl gehandelt haben mag.

Wagemann – am Revers einen baumelnden schwarzrotgoldnen Topflappen – verliest eine eigene Anklageschrift gegen die Justiz und führt vor dem Gerichtsportal einen Gegenprozeß: Hierbei läßt auch Statist Samson, ein Pony, spontan und beifallumrauscht einige Äpfel fallen. Das raffinierte Verteidiger-Plädoyer: Weil es das Wort Glimpf im Deutschen nicht gebe, könne man auch nicht verunglimpfen. Ähnlich verhalte es sich mit dem Verunmeukeln. „Herr Staatsanwalt, erläutern Sie mir doch mal den Meukel-Tatbestand.“ Das schaffte der Arme nicht, führte aber hilfsweise aus, er könne im Falle der Pferdeäpfelkomposition „die schöpferische Kraft, die Genialität eines Kunstwerkes“ nicht entdecken. Also „eine besonders grob zu wertende Tat“.

Es half nichts. Urteil: Freispruch. Ein wahrhaft skandalöses Urteil, das Tierliebe und Exkrementenschutz niedriger bewertet als zweifelhafte künstlerische Freiheit und Satire. Schlappe 50.000 Mark dürfte der Prozeß alles in allem gekostet haben, 30 Sitzungsstunden waren bis zum Urteil nötig. Bernd Müllender