Buhlen um Großkunden Deutschland

■ Holland und Belgien beenden Konflikt um Scheldemündung / Rotterdam und Antwerpen kämpfen um deutsche Transporte

Rotterdam (taz) – Sie könnten unterschiedlicher nicht sein: Rotterdam, groß, wuchtig und mit einer veritablen Skyline, und Antwerpen, mit seiner hübschen Altstadt, schiefwinkligen Giebelhäusern und gemütlichen Kneipen. Doch eins haben beide Städte gemeinsam: Sie haben Häfen, die für Teile der deutschen Wirtschaft wichtiger sind als Hamburg. Wurden in Hamburg 1994 rund 70 Millionen Tonnen umgeschlagen, waren es in Antwerpen 109 und in Rotterdam gar 294 Millionen. Es gibt Schätzungen, wonach Rotterdam zu 50 Prozent Güter aus oder nach Deutschland umschlägt. Der „deutsche“ Anteil in Rotterdam wäre damit doppelt so hoch wie der Warenumschlag Hamburgs insgesamt.

Für Rotterdam, den größten Hafen der Welt, war es das beste Ergebnis seit 15 Jahren. Trotzdem macht man sich Sorgen, ob die Spitzenposition gehalten werden kann. Rotterdam konnte in den letzten vier Jahren nur zwischen zwei und vier Prozent zulegen, während in Antwerpen und Hamburg jeweils um neun Prozent mehr umgeschlagen wurde. Ausgerechnet Antwerpen holt jetzt auf, 1994 zählte der flämische Konkurrent 17 Prozent mehr Container als im Vorjahr, Rotterdam verbuchte „nur“ 9,5 Prozent mehr.

Die flämisch-holländische Rivalität hat Tradition, und sie bekommt immer dann neue Nahrung, wenn es um die Westerschelde, die Scheldemündung, geht. Denn auf ihrem Weg in die belgische Hafenstadt fahren die Schiffe durch holländische Gewässer. Um diesen Wasserweg hat es seit dem 17. Jahrhundert immer wieder Streit gegeben. Hin und wieder muß die Westerschelde ausgebaggert werden. Und darum wurde in den vergangenen 30 Jahren heftig gestritten. Schließlich geht es um viel Geld: Erstens kostet die Vertiefung einiges, zweitens sind die Aufträge für die Baggerfirmen lukrativ, und drittens fragt man sich in den Niederlanden, warum man ausgerechnet dem schärfsten Konkurrenten entgegenkommen sollte.

Heute endlich soll in Den Haag ein Vertrag über die Vertiefung unterzeichnet werden. 513 Millionen Gulden (ca. 461,7 Millionen Mark) sind veranschlagt, um die Ufer zu befestigten, Unmengen von Sand auszubaggern und die in den letzten 30 Jahren gesunkenen Schiffe zu bergen. Den größten Teil der Aufträge reklamieren flämische Firmen für sich, die holländische Konkurrenz ärgert sich.

Dazu gibt es Streit um neue Eisenbahnprojekte. Die belgische Regierung blockierte wegen der fehlenden Kooperation bei der Westerschelde die geplante Hochgeschwindigkeitstrasse, die von Amsterdam/Rotterdam nach Paris und London führen soll. Nur wenn auch eine Expreßverbindung von Brüssel über Lüttich nach Köln gebaut werde, wollte sie der Strecke zustimmen. Eine Einigung ist nicht in Sicht.

Auch in den Niederlanden selbst streitet man sich um eine neue Hochgeschwindigkeitsstrecke. Die Rotterdamer Hafendirektion fordert eine neue Bahnstrecke nach Deutschland, als „größtes Transport- und Verteilungszentrum der Welt“ könnten es sich die Niederlande nicht erlauben, die Verbindungen ins Ruhrgebiet zu vernachlässigen. Aber Umweltschützer machen mobil, weil Teile der neuen Strecke durch dicht bewohnte und Naturschutzgebiete gebaut werden sollen. Finanzexperten monieren, daß die geplanten 6,3 Milliarden Gulden (ca. 5,7 Milliarden Mark) nicht reichen dürften. Die Rotterdamer Hafendirektion hält dagegen, daß bereits zwei Milliarden Gulden in neue Container-Terminals investiert würden – für nichts und wieder nichts? Hafenmeister Smit verzweifelt, weil ausgerechnet Deutschland „es nicht eilig hat, den Plan zu unterstützen“. Zwar hätten Hamburg und die Deutsche Bahn AG begreiflicherweise kein großes Interesse, die Niederländische Eisenbahn und den Hafen Rotterdam zu protegieren. Dennoch wünscht sich Hafenmeister Smit – ganz ungewöhnlich für einen Holländer – ein wenig mehr deutsche Einmischung in die „inneren Angelegenheiten der Niederlande“. Falk Madeja