Zwangsräumung ist verschoben worden

■ Drei Wochen Gnadenfrist für Mieter Hausbesitzer verstößt gegen Gesetze

Gestern morgen um 9.00 Uhr sollte die Familie Dabui nach über 33 Jahren aus ihrer Wohnung in der Lindenallee 28 in Charlottenburg geräumt werden. Die Räumung fand nicht statt. Frau Dabui war psychisch in so schlechter Verfassung, daß ein Arzt „Suizidgefahr“ attestierte, sollte die Zwangsräumung durchgezogen werden. Nun haben die Dabuis drei Wochen Gnadenfrist. Dann soll geräumt werden.

Bei der geplanten Räumung kam es gestern zu tumultartigen Szenen. UnterstützerInnen und Presse waren vor Ort, der Hausbesitzer Gerd Lehmann hatte Wachschutz aufgefahren, fuchtelte mit einem Knüppel rum und bedrohte den taz-Fotografen sowie einen Bezirksverordneten der Charlottenburger BVV. Schließlich wurde die Polizei gerufen. Der Vermieter schloß sich daraufhin in seine Wohnung ein und war für niemanden mehr zu sprechen.

Hintergrund dieser Vorgänge ist ein skandalöses Räumungsurteil aus dem vergangenen Jahr. Das Landgericht sah es damals als erwiesen an, daß Frau Dabui den Eigentümer des Hauses Lindenallee 28 als „schwule Sau“ beschimpft habe. Grundlage des Urteils war eine Aussage vom Sohn des Hauswirts, der als „Zeuge vom Hörensagen“ bekundete, von dieser Beschimpfung über einen anderen Angestellten erfahren zu haben. Eine solche Beleidigung des Vermieters rechtfertigte nach Ansicht des Vorsitzenden Richters Siegfried die Räumungsklage gegenüber der Familie.

In den letzten Jahren hatte Lehmann immer wieder versucht, die Dabuis los zu werden. Insgesamt 60 Abmahnungen beziehungsweise Kündigungen beschäftigten die Gerichte. Ausländerfeindliche Beleidigungen waren an der Tagesordnung, und sogar einen Mord soll der Vermieter in Auftrag gegeben haben. Ein ehemaliger Angestellter sagte gegenüber der Polizei im September 1992 aus, daß ihm Herr Lehmann 20.000 Mark geboten hätte, wenn er „den Kurden beiseite schaffen“ könnte. Das Verfahren dazu wurde im April 1993 eingestellt. Die Polizei begründete dies damit, daß der Vermieter nie wieder auf die Sache zurückgekommen sei und den Mordauftrag nicht erteilt habe. Allein die Idee dazu sei nicht strafbar.

Auch den Baubehörden ist Gerd Lehmann kein Unbekannter. Seit zehn Jahren beschäftigt sich das Wohnungsamt Charlottenburg immer wieder mit Anzeigen wegen Leerstands, Zweckentfremdung und Verstößen gegen Auflagen der Bauaufsicht in der Lindenallee 28. Viel Erfolg scheint es dabei nicht zu haben. Von zwölf Wohnungen stehen zur Zeit sechs leer oder werden als Büros genutzt. Matthias Bernt