Im Frauenzimmerzimmer

Computernetze sind nicht so schlecht wie das, was Männer mit ihnen anstellen / Immer mehr Frauen experimentieren im Datenraum  ■ Von Doris Maassen

Computer sind praktische Arbeitsgeräte – wenn sie funktionieren. Aber Leidenschaft, Begeisterung? Das ist für viele zuviel verlangt. Und Datennetze? Datennetze werden als Expertenangelegenheit betrachtet, als Territorium der Computerfreaks, die seit dem Kindesalter am Bildschirm kleben und ihre Wohnung nicht mehr verlassen. Dämliche Cybersexanzüge und ständig wiederkehrende Porno-Skandale lassen Frauen zu der Überzeugung kommen, daß diese Netze ein Spielzeug für Männer sind. Andere Frauen haben schlichtweg kein Interesse an dieser Art Kultur. Sie lassen sich abschrecken von dumpfem Technikkult, obwohl Computernetze auch ihnen viel bieten könnten.

Die Netztechnik an sich ist nicht so schlecht wie das, was Männer mit ihr anstellen. Und: Der Einstieg ins Datennetz ist verblüffend einfach. Mit wenigen Hilfsmitteln wird aus der Textverarbeitungsmaschine, die inzwischen in fast jedem Büro oder Arbeitszimmer steht, ein Teil eines Informationsnetzwerkes. Computer, die prähistorisch erscheinen, weil schon die vorletzte Version eines Textverarbeitungsprogrammes ihre Rechenkapazitäten überstiegen hat, funktionieren im Netz ebenso wie die brandaktuelle Messeneuheit. Neben dem Computer ist ein Telefonanschluß unabdingbar. Einzig nötige Neuanschaffung: ein Modem, ein Gerät, das die elektronischen Signale des Computers in akustische Signale verwandelt. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann die Reise ins Datennetz beginnen. So erreicht frau Mailboxen, also elektronische Briefkästen, deren schwarze Bretter und Diskussionsforen und die anderen UserInnen, die sich gelegentlich an das Netz anschließen. Seit den 80er Jahren haben sich viele politische und künstlerische Gruppen am Aufbau von sog. BürgerInnennetzen beteiligt – zwecks Demokratisierung von Information.

Rena Tangens, Pädagogin und Computerkünstlerin aus Bielefeld, versucht Frauen zusammenzubringen, die sich bereits im Netz bewegen oder sich dafür interessieren. Beim alljährlichen Chaos Communication Congress (CCC), dem größten Forum kritischer Computerfreaks und HackerInnen, hat sie in den letzten beiden Jahren das „Frauenzimmerzimmer“ organisiert – Treffpunkt und Workshop für Computerbenutzerinnen. 1988 war Rena Tangens noch die einzige Frau beim CCC. Inzwischen treffen sich bei ihren Workshops mehrere Dutzend Frauen – Betreiberinnen von Mailboxen, Programmiererinnen, Informatikerinnen und Neugierige.

Netzbegeisterte Frauen diskutieren verschiedene Strategien, mit denen sich Frauen im Datenraum ausbreiten können. Die EDV-Dozentinnen Claudia Gembe und Jutta Marke schwören auf Frauennetze, sie haben darum FemNet – Frauen erobern mailbox Netze – ins Leben gerufen (siehe Interview). Virtuelle Frauenräume, zu denen Männer keinen Zutritt haben, sollen es Frauen ermöglichen, das Datennetz für Kommunikation und Informationsaustausch zu nutzen. Wer sich einloggen will, sagen wir als Susi Sorglos, muß sich statt Gesichtskontrolle einem geschlechtserkennenden Telefongespräch unterziehen. In Frankfurt/ Main, Wiesbaden und Düsseldorf hat FemNet bereits Mailboxen installiert. Berlin, Hamburg, Erfurt und Karlsruhe sollen folgen.

Rena Tangens fordert weiterhin, daß Frauen sich auch in den gemischten Netzen Raum nehmen. Sie hält Datennetze für ein Medium, in dem gleichberechtigte Kommunikation möglich ist. Ihre Begründung: „Ich kann nicht sehen, ob mein Gegenüber weiblich oder männlich, alt oder jung, Rugbyspielerin oder Rollstuhlfahrerin ist, Ohrringe oder Krawatte trägt. Ich kann mir nur aufgrund des Geschriebenen eine Vorstellung machen“.

Daß NetzbewohnerInnen keineswegs unvoreingenommen sind, sondern dazu neigen, sich unter ihren GesprächspartnerInnen Männer vorzustellen, mußten viele Frauen erfahren. Christine Wittig, Mitbetreiberin einer Münchner Mailbox, die im Netz als C. Wittig firmiert, erzählt: „Man kann sich ganz normal unterhalten, bis die merken, daß du 'ne Frau bist – dann kommen sofort Fragen dazu, wie du aussiehst.“ Manche sehen im elektronischen Geschlechtswechsel eine Lösung dieses Dilemmas – sie geben sich schlichtweg nicht als Frau zu erkennen. Daß Frauen im Netz oft denken, sie seien die einzige Frau weit und breit, wie Christine Wittig feststellt, wird sich dadurch wohl kaum ändern.

Frauen und Männer agieren in der Netzgesellschaft sehr unterschiedlich. Rena Tangens spricht von der Unsichtbarkeit von Frauen im Netz, die sie auf geschlechtsspezifische Kommunikationsformen zurückführt: Frauen äußern sich ihrer Erfahrung nach seltener als Männer in öffentlichen Brettern, statt dessen nutzen sie die Datenfernübertragung häufiger für private e-mails.

Selbst auf öffentliche Nachrichten antworteten Frauen privat – während Männer jeden nebensächlichen Kommentar in öffentliche Bretter schreiben würden. Rena Tangens schätzt, daß der Frauenanteil in den Netzen doppelt so hoch ist, wie allgemein angenommen wird: Tatsächlich seien 15 bis 20 Prozent aller NetzbenutzerInnen Frauen.

Die Netzfrau und der Netzmann seien möglicherweise zwei grundverschiedene Wesen, vermuten Besucherinnen des Frauenzimmerzimmers beim jüngsten Chaos Communication Congress zur Jahreswende in Berlin. Dabei geht es keineswegs um eine Neuauflage einer Theorie der „natürlichen“ Geschlechterdifferenz, sondern um strukturelle Gegebenheiten. „Der typische Netzmann ist ungefähr 17 Jahre alt“, beschreibt Christine Wittig ihre Erfahrung. Das Interesse am Netz werde häufig von einer kurzlebigen Technikbegeisterung getragen. Und die Netzfrau? „Ungefähr 35 Jahre wird die sein“, vermutet eine Teilnehmerin.

Die Datenströme in den BürgerInnennetzen heben sich positiv von den techniklastigen Dialogen in den kommerziellen Mailbox-Netzen ab. Das Themenspektrum reicht von Asyl über Gewerkschaften bis zu Ökologie. Aber dumme Anmache und sexistische Sprüche sind selbst im alternativen Netz gang und gäbe. Und: Viele Netzteilnehmer reagieren mit Unverständnis und Aggressionen auf Versuche von Frauen, eigene Informations- und Kommunikationsorte im Netz zu schaffen. Wer einen Blick ins Brett Frauen/Diskussion des Computernetzwerkes Linksysteme (CL-Netz) wirft – mit 30.000 TeilnehmerInnen eines der großen BürgerInnennetze –, stößt auf eine bereits Wochen dauernde Diskussion um das Frauen/only-Brett in selbigem Netz. Da beklagen sich Männer, daß mit ihren Monatsbeiträgen Strukturen aufgebaut würden, die für sie „allein wegen der Anatomie“ nicht zugänglich seien (Kostprobe nebenstehend).

Doch was haben Datennetze Frauen überhaupt zu bieten? Viele ziehen sich nach ihrem ersten Netzbesuch frustriert zurück, weil sie feststellen, daß nur wenige Bretter für sie interessant sind. Datennetze sind immer so gut wie das, was ihre Nutzerinnen mit ihnen anfangen. Sie sind Kommunikationsmedien, das heißt die Teilnehmerinnen sind nicht nur Konsumentinnen, sondern auch Produzentinnen von Nachrichten. Wesentliche Voraussetzung für die Verständigung übers Netz ist, daß andere Teilnehmerinnen vorhanden sind, mit denen frau kommunizieren möchte. Nach Bedarf können dann Informations- und Kommunikationsbretter eingerichtet werden. Das kann ein Brett für Frauen sein, die in antirassistischen Gruppen arbeiten – ebenso wäre ein Treffpunkt für Schriftstellerinnen denkbar. Neuerscheinungen feministischer Theorie können im Netz ebenso diskutiert werden wie die Schwierigkeiten beim Umgang mit dem Modem. Spontane Projektideen können mit der Bitte um Kommentierung über das Netz geschickt werden, und – last but not least – persönliche Kontakte können geknüpft werden.

Ein paar Mythen über die Allmacht weltumspannender Datenströme werden sich auflösen, wenn mehr Frauen in die elektronische Vernetzung einsteigen. Dann wird sich herausstellen, daß auch Datennetze ein schlichtes Arbeits- und Kommunikationsmittel sind und daß nicht alle, die damit in Berührung kommen, nicht weiter denken als bis zu ihrem Computerbildschirm.