Diskussionsloser Rechtsruck

Nachdem die Berliner Gedenkbibliothek die Rehabilitierung einer KZ-Aufseherin betrieben hat, ziehen Katja Havemann und Jürgen Fuchs sich protestierend zurück / Wolfgang Templin wird Vorsitzender  ■ Von Uwe Rada

Berlin (taz) – Nach einer Stunde, die sich allein um Tagesordnung und Satzungsänderungen drehte, platzte Jürgen Fuchs der Kragen. Die Versammlungsleitung, schimpfte der Schriftsteller und Bürgerrechtler, erinnere ihn an übelste Zeiten im DDR-Schriftstellerverband. „Ich will den Bruch mit diesen Strukturen“, erregte sich Fuchs über den Versuch, die Öffentlichkeit auszuschließen. Wie schon Bärbel Bohley kündigte auch Jürgen Fuchs an, sich dafür einzusetzen, daß dem Förderverein der Gedenkbibliothek künftig der Geldhahn abgedreht wird.

Alles, was Fuchs von den Mitgliedern der Berliner antistalinistischen Gedenkbibliothek am Montag abend wollte, war eine öffentliche Debatte. Eine Debatte über die Rehabilitierung der früheren KZ-Aufseherin Gertrud Pietzner, die mit Hilfe der beiden ehemaligen Vorstandsmitglieder der Gedenkbibliothek, Siegmar Faust und Ursula Popiolek, eine Entschädigung als Opfer des Stalinismus in Höhe von 64.350 Mark erhielt. Aber auch eine Debatte über die Konsequenzen für Ursula Popiolek, die als festangestellte Leiterin der Bibliothek von Pietzner nach deren Entschädigung 15.000 Mark entgegengenommen hatte.

Eine solche Diskussion freilich war den knapp hundert Anwesenden, die zur Mitgliederversammlung des Vereins gekommen waren, am Montag abend zuviel des Guten. Die Klärung des Vorfalls, so der ehemalige Bürgerrechtler Wolfgang Templin, müsse einem neuen Vereinsvorstand vorbehalten bleiben und könne im übrigen schon aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht öffentlich geführt werden. Mit dem demonstrativen Auszug von Jürgen Fuchs, Katja Havemann und mehreren Gründungsmitgliedern ist die Spaltung der 1989 gegründeten Gedenkbibliothek, die im Lauf der Zeit mehr und mehr Sammlungsort rechtskonservativer Kreise wurde, nun perfekt.

Den enttäuschten Bürgerrechtlern blieb es nach ihrem Protest erspart, den Durchmarsch rechtskonservativer Kreise im Förderverein mit ansehen zu müssen. Unter der Regie des ehemaligen Mitglieds der „Notgemeinschaft für eine Freie Universität“, Hans- Eberhard Zahn, und im Beisein von Manfred Kittlaus, Leiter der Berliner Zentralen Ermittlungsstelle Regierungs- und Vereinigungskriminalität, ließen die Versammelten keinen Zweifel an ihrer Loyalität zu Bibliotheksleiterin Ursula Popiolek und ihrer Gegnerschaft zu den vermeintlichen Nestbeschmutzern der Presse, allen voran der taz. Nachdem sich eine große Mehrheit auf Wolfgang Templin als ersten Vorsitzenden einigte, unterlag bei der Wahl zum zweiten Vorsitz die SPD-Bundestagsabgeordnete Angelika Barbe. Sie hatte zuvor mit ihrer Forderung nach einer Aufklärung des Einsatzes von Faust und Popiolek für die ehemalige KZ-Aufseherin höhnisches Gelächter und entsetztes Kopfschütteln geerntet. Gewählt wurde statt Barbe ein Mann namens Achim Günther. Der hatte zuvor erklärt, er trete für Wolfgang Templin als neuen Vorsitzenden des Fördervereins vor allem wegen dessen Interview in der „rechtsradikalen Jungen Freiheit“ ein. Außerdem vermutete der Mann hinter der Aufdeckung der Entschädigung von Margot Pietzner durch die taz ein Komplott von „Geldgebern und Hintermännern aus einer ganz bestimmten Ecke“.