Sauber glitzernde Bürowelten

■ Auf dem Gelände des einstigen Werks für Elektroapparate (EAW) in Treptow haben die Bauarbeiten begonnen / Hochhaus für die Allianz-Versicherung

„Umbruch“ steht auf dem Schild vor dem backsteinroten Block des ehemaligen EAW-Geländes (Elektroapparatewerk) an der Hoffmann- Ecke Elsenstraße in Treptow. Die Reklame für einen „Belichtungs-Service“, der sich in den Räumen der einstigen Poliklinik „Salvador Allende“ eingenistet hat, könnte noch etwas anderes meinen, schaut man durch die Toreinfahrt auf die Rückseite des Gebiets.

Auf dem 11,8 Hektar großen Areal, hinter dem denkmalgeschützten Gewerbebau aus den zwanziger Jahren, fliegen Abrißbirnen in leerstehende Gebäudeteile aus der Nachkriegszeit, laden Bagger den Trümmerschutt auf ihre Schaufeln und rasen Laster mit der Fuhre im Staub davon.

Neben dem alten achtgeschossigen Backsteingebäude schaffen die Bulldozer Raum für eines der größten Bauprojekte an der Oberspree. Der Bauträger Roland Ernst plant mit zwei anderen Developern (Walter-Bau-Gruppe/ Kieferle) bis 1998 auf 325.000 Quadratmetern Bruttogeschoßfläche den Neubau eines Dienstleistungs- und Bürozentrums für 1,5 Milliarden Mark, das in der Hauptsache von der Allianz-Versicherung genutzt werden soll.

Das Bebauungsplanverfahren sei so weit fortgeschritten, sagt Gisbert Dreyer, Geschäftsführer der Roland Ernst Städtebau und Entwicklungsgesellschaft, daß nach der Offenlegung im Dezember die Baugenehmigung erteilt werden könnte. „Wir reißen nicht nur ab und stellen was Neues hin“, so Dreyer. Der Altbau werde wiederhergestellt, und für die Mieter dreier Wohnhäuser würden Ersatzwohnungen errichtet.

Auf dem Hochglanzpapier erinnert der Entwurf des großen Dienstleistungszentrums an die Geisterstädte in den Londoner Docklands. Hier wie dort reckt sich am Wasser ein Hochhaus- Monstrum in die Höhe. Hier wie dort wird die alte Bausubstanz als Kulisse für die neue hergerichtet. Schicke Zeilen und sechs Türmchen spiegeln sich hier in der Spree als sauber glitzernde Bürowelten: schöne neue Welt mit kristallinen Fassaden und voll schnittiger Modernität wie aus dem Bilderbuch, die städtische Lebendigkeit sagt, aber Künstlichkeit hervorbringt.

Auf den zweiten Blick indessen bemerkt man, daß der städtebauliche Entwurf von Gerhard Spangenberg (Berlin) noch aus einem anderen Holz geschnitzt ist, zielt doch die Gestaltung des öffentlichen Raumes auf die Rückgabe des früher industriell genutzten Fleckens an die Stadt und ihre Nutzer.

„Es soll ein Spreeuferweg angelegt werden, der einmal – unter der Elsenbrücke und S-Bahn-Trasse hindurch – bis in den Treptower Park führen könnte“, sagt Dreyer. Die Durchwegung des Quartiers habe Spangenberg in Ost-West- Richtung angeordnet, so daß Zugang zum Wasser bleibe.

Schließlich wird zwischen den Wohn- und Arbeitsstandorten eine Parkanlage bis hinunter zum Fluß geleitet, die an einer künstlich verlängerten Terrasse endet. Ein städtebaulicher Vertrag zwischen dem Land Berlin und dem Investor soll garantieren, daß die öffentlichen Infrastrukturmaßnahmen auch gebaut werden: Mit dem zukünftigen Mieter im Rücken und der Planungssicherheit auf dem Papier ist dies für Dreyer ein „verläßliches Projekt“, das im Sommer 1995 begonnen und 1997 zum größten Teil fertiggestellt sein soll.

Bei soviel guten Absichten glaubt der Investor dann wohl der Pflege des urbanen Raums Genüge getan zu haben und doch noch zulangen zu können: Denn so maßvoll die drei fünfzehnstöckigen „Zwillingstürme“ sind – sie schreiben das Kreuzberger Gewerbeufer fort –, so maßlos erscheint der dreißiggeschossige Büroturm am Eingang des Allianz-Areals. Ein wuchtiger Quader mit der Grundfläche eines Blocks sei da Spangenbergs sonst so leichter Handschrift entsprungen, meint Treptows Baustadtrat Dieter Schmitz. Das Hochhaus sei den städtebaulichen Leitlinien des Senats geschuldet, am S-Bahn-Ring Bürotürme zu konzentrieren.

„Doch damit können wir leben“, sagt Schmitz, wohl im Hinblick auf den sich langsamer drehenden „Motor der Stadtentwicklung“ an der Rummelsburger Bucht und am Ostkreuz. Dieser steht nach der Pleite bei der Olympiabewerbung im vergangenen Jahr, die dem Ort Bauten für die „Olympische Familie“ und später Wohnungen für schnieke 12.000 Berliner bringen sollte, nun weniger unter Dampf. Auf den altindustriellen und zum Teil brachliegenden Gebieten an der Rummelsburger Bucht geht man heute mit der „Aktivierung erster Startergrundstücke“, so Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer, für einen kleinen Gewerbe- und Wohntrakt der Colonia ins Rennen. Und der Rest kann dauern. Rolf Lautenschläger