■ Lutz Bertram, Ostdeutschlands beliebtester Fernseh- und Radiomoderator, ist der erste IM, der sich öffentlich- rechtlich und live den Fragen nach seiner Stasi-Zuarbeit stellte...
: Im Rampenlicht versteckt

Lutz Bertram, Ostdeutschlands beliebtester Fernseh- und Radiomoderator, ist der erste IM, der sich öffentlich-

rechtlich und live den Fragen nach seiner Stasi-Zuarbeit stellte. Der Mann, der mit seiner scharfen Zunge jeden Politiker kleinbekam, gab sich demutsvoll statt aggressiv und souverän.

Im Rampenlicht versteckt

Er bleibt der beliebteste Radiomoderator Ostdeutschlands. Er, der in seine tägliche Dreistundensendung praktisch jeden Bonner Politiker hineinzerrte – und ihn in der Regel auch kleinbekam. Lutz Bertram, 41 Jahre und blind, ist eine Identifikationsfigur für den Osten, ein brillanter Journalist, der auch die radiomüden West-Intellektuellen morgens wieder ans Hören fesselt. Einer, der Manfred Stolpe knallhart fragte: „Ham Sie nun – oder ham Sie nicht?“

Jetzt hat er also auch. Seit Freitag abend wissen wir, daß Lutz Bertram für die Stasi gearbeitet hat. Und immer noch macht er Quote: Bertram – der erste IM, der sich bereit erklärt, sich in einer Sondersendung allen Fragen zu stellen, statt wie andere scheibchenweise nur das jeweils Unvermeidliche zuzugeben.

Am Samstag im viertel nach zehn sitzt er nun also seinem Chefredakteur Christoph Singelnstein gegenüber und dem Publizisten Mathias Greffrath, ehemaliger Chefredakteur der Wochenpost, der einzigen Wochenzeitung mit Ost-West-Anspruch. In seiner eigenen Studiokulisse sitzt plötzlich ein Bertram, wie ihn keiner kennt: demutsvoll statt aggressiv-souverän, stockend statt wie aus der Pistole geschossen beginnt er mit der Geschichte, die ich bitte, erzählen zu dürfen.

Er darf, er soll, die Interviewer halten sich lange bewußt zurück, fragen höchstens mal hier nach einer Jahreszahl, dort nach einem Detail. Und Bertram holt weit aus: Seit seiner Geburt leidet er unter dem Grünen Star, ab 1978 weiß er, er wird wahrscheinlich blind. Die Netzhaut löst sich allmählich ab. Die einzige Chance: eine Operation im Westen. Ich bin von Professor zu Professor gelaufen – solange, bis einer meiner Freunde, der bei der Hauptverwaltung Aufklärung war, monatelang nicht aus dem Westen zurückkam. Da wird ihm – Stasi-Logik – die Verlängerung seines Visum verweigert, obwohl er als Invalide einen Anspruch darauf hatte. Als der vermißte Freund wieder auftaucht, Betram wieder reisen darf, sagt ihm der einzige Professor im Westen, der ihm noch Hoffnung gemacht hatte: „Sie kommen zu spät.“ Von da an weiß er: Ein Paß ist Leben. Ich wollte nie mehr disponibel sein.

Für einen Paß läßt er sich 1983 mit der Stasi ein, als „IM K.“. Er habe aber nur an einem „Decktelefon“ gesessen und Nachrichten weitergegeben. Und sonst nichts? Bertram wird unruhig, dreht den Körper heftig zurück: Er hatte den Eindruck, sie wollten mich draußen irgendwas machen lassen – sprich, für die Spionageabteilung von Markus Wolf. Aber gleichzeitig hat der Führungsoffizier es Abschöpfung genannt. Er ist alle vier bis sechs Wochen in meine Wohnung gekommen und hat sich nie für meine Umgebung interessiert. Bertrams Umgebung, das hieß DT64, das Jugendradio der DDR, wo er Musikredakteur war.

„Konnten Sie denn so naiv sein“, fragt Greffrath, „Sie waren doch bekannt in der Rockszene?“ Nein, die Stasi-Abteilung VI sei doch nur für Grenzkontrollen und nicht für Medien zuständig gewesen. Es hat in meinen direkten Gesprächen keine Rolle gespielt. Die allerdings sollen nach Aussage seines Führungsoffiziers gelegentlich sogar zwei bis dreimal pro Woche stattgefunden haben. „Ja, haben Sie über Marxismus geredet oder worüber?“ Pause. Ja. Auch. Die Frage bleibt offen, worüber noch.

In einem anderen Punkt ist Bertram schonungslos mit sich selbst: Mir kommt bei dem, was ich angerichtet haben kann, das kalte Grausen. Er sehe nur eine Möglichkeit: den Furunkel hier abzuschneiden, um den Schwefelgestank loszuwerden. Doch je weiter das Gespräch kommt, jenseits der tragischen Geschichte, wie Bertram über seine Augenkrankheit zur Stasi kam, je mehr jetzt auch Greffrath und ORB-Chefredakteur Singelnstein, ein alter Duzfreund aus gemeinsamen Tagen des DDR- Rundfunks, Einzelheiten wissen wollen, desto schwammiger werden die Antworten – und: desto mehr legt sich das Stocken in der Stimme, desto mehr gewinnt Bertram wieder an Selbstsicherheit. Gefragt, ob er den Staat, der ihm sein Augenlicht genommen hat, nicht eigentlich hassen müßte, wird er offensiv: Ich habe mit dieser schizophrenen Zweiheit gelebt – bitte das nicht als Entlastung zu verstehen –, ich habe sie gehaßt und bin trotzdem ihr Knecht gewesen.

Nur einmal in diesen anderthalb Stunden macht sich die Spannung, macht sich auch die Verzweiflung der Interviewer Luft: „Verdammte Scheiße – warum reden alle erst, wenn die Akten auf dem Tisch liegen?“ Auch bei Bertram war es schließlich so. Der ORB hatte für alle rund 600 festangestellten Mitarbeiter eine sogenannte „Regelanfrage“ an die Gauckbehörde geschickt und für einige „programmprägende“ freie Mitarbeiter noch dazu. Unter ihnen Bertram. Kurz vor Weihnachten kam die Antwort: Die Akten waren vernichtet, doch man hatte eine Karteikarte gefunden. Anfang Januar gab es ein Gespräch mit der Leitung des Senders. Die Entscheidung, so stellte es Chefredakteur Singelnstein dar, sei „großzügig“ und durchaus „umstritten“ gewesen: Ein Jahr hätten sie Bertram noch gegeben, spätestens dann hätte man sich trennen müssen. Wenn Betram wolle, aber auch jederzeit früher. Tatsächlich hat Bertram den Zeitpunkt des Geständnisses also selber bestimmt. Aber warum hat er nicht viel eher die Öffentlichkeit gesucht – vor den Akten? Wie er es denn aushalten konnte, mit diesem Wissen seine Gesprächspartner vier Jahre lang zu Stasi und Treuhand auszufragen, will Freund und Kollege Singelnstein wissen. Bertram spricht von einem Fehler, weil ich eitel war. Zu moderieren, nach vielen Jahren als stummer Musikredakteur, im Rampenlicht zu stehen als die Stimme des Ostens: Das war so wie eine Vision. Eine enorme Erleichterung, eine Riesenfreude. Ich konnte machen, was ich wollte. Deshalb habe ich jeden Morgen wie ein Wahnsinniger gearbeitet.

„Hast du nicht an die Kollegen gedacht, ob das denen die Beine wegzieht?“ Ich habe gedacht, das machst du richtig so, ich wollte die Geschichte öffentlich machen. Aber wann? Singelnstein setzt nach: Nach einem Interview mit Sarah Wagenknecht, Anführerin der „Kommunistischen Plattform“ in der PDS, seien sie doch noch beide „erschrocken gewesen über den Geist, der da noch lebt. Hast du da nicht gedacht: Und mit dem habe ich mich gemeingemacht?“ Doch Bertram bleibt bei seiner Linie, erklärt, warum er sich an niemanden gewandt hat – nicht damals an den Abwickler des DDR- Rundfunks, Rudolf Mühlfenzl (das Klima war nicht so) und nicht an die Kirche: Ich habe damals an nichts geglaubt, nicht an Gott, nicht an die Kirche, nicht an den Staat und nicht an mich. Ich meinte, das allein zu erledigen oder aushalten zu müssen. Aber die Antwort auf die Frage, warum vier Jahre für ihn nicht genug waren, um aus freien Stücken die Flucht nach vorn anzutreten, bleibt eigentümlich vage: Ich hatte mich ganz lange nicht damit abgefunden, daß ich blind bin. Ich mußte erst klarkriegen, über beides zu reden: Früher war meine körperliche Versehrtheit für mich das Maß aller Dinge, jetzt wolle er seine Ganzheitlichkeit wiederherstellen.

Heute früh, von sechs bis neun, wird Bertram noch einmal seinen HörerInnen Rede und Antwort stehen, dann ist – vorerst Schluß. Mit seinen täglichen Sendungen für das „liebe Radiovolk“ und mit seiner Interviewreihe „Schlagabtausch“ im ORB-Fernsehprogramm. Doch eigentlich soll und muß es für Bertram weitergehen. Ich muß weiterarbeiten, sonst könnte ich mich endgültig erschießen. Es ist meine Erfüllung, diesen Job zu machen.

Jedem, aber auch jedem, der zuschaut, macht er klar, er unterscheidet sich in einem Punkt von allen bisher decouvrierten IMs: Er redet seine Schuld nicht klein. Das Ausmaß kann ich gar nicht abschätzen. Doch zur konkreten Aufklärung – wer und was und zu wessen Schaden er der Stasi dienlich war – trägt auch Bertram wenig bei, die jahrelange Schizophrenie der zwei Rollen bringt auch er zu keinem Ende.

Nun einige Jahre nicht öffentlich aufzutreten – er kann es sich nicht vorstellen. Man muß überlegen, ob Leute wie ich entbehrlich sind. Dem Problem, angesichts seiner eigenen Verstrickung an dieser prominenten Stelle weiter Gysi, Stolpe und Bisky zu interviewen, weicht er immer wieder aus.

Ich kann nur sagen, daß ich für diese Arbeit verbrenne. Wie es weitergeht, sollen andere entscheiden: Die Antwort liegt vor allem bei der brandenburgischen Öffentlichkeit. Jeder weiß, wie die brandenburgische Öffentlichkeit die Stasi-Verwicklungen ihres Ministerpräsidenten Stolpe beantwortet hat: mit dem höchsten Wahlsieg, den je ein Sozialdemokrat in Deutschland errungen hat. Und einen Frühstücksdirektor Bertram als Leitbild für die Ostler kann sicher auch manch ein Privatsender brauchen. Michael Rediske