Onkel Dagobert läßt Federn

■ „Der Fall Entenhausen“, ein juristisches Gutachten, erhellt das kriminelle Doppelleben des Duckschen Entenclans

Björn Engholm war ein Lügner, Maurizio Gaudino war ein Autoschieber: Lichtgestalten stürzen vom Sockel, Vorbilder werden als Schwindler entlarvt. Nun hat das grassierende Idolsterben ein weiteres Opfer gefunden: Die Duck-Familie aus Entenhausen, eben noch in der ganzen Welt als 60jährige Lieblinge der Kinderwelt gefeiert, müssen ab sofort als Sippe von Schwerverbrechern gelten. Denn ein neues Buch über den Entenclan, „Der Fall Entenhausen“, stellt „die Machenschaften von Dagobert, Donald und der übrigen Brut auf den juristischen Prüfstand“. Das Urteil ist verheerend: „Entenhausen ist eine unheile Scheinwelt. Die liebenswerte Enten des Druck-Clans verstecken ihre kriminelle Veranlagung geschickt unter ihrem unschuldsweißen Federkleid.“

Das Federkleid gelüftet haben nun drei Bremer JuristInnen: Ansgar Fischer, Klaus Meier und Susanne Schnatmeyer, die den geliebten Comic-Figuren unter dem Pseudonym „Botho Bremer“ auf die Pelle gerückt sind. Nach ihren Recherchen ballen sich dunkle Wolken über Entenhausen, vor allem Oberente und „Fantastilliardär“ Dagobert Duck wird mit der harten Hand des Gesetzes konfrontiert werden.

Denn die juristische Lektüre der Donald Duck-Hefte läßt dem Rechtskundigen die Augen übergehen. Vor allem Onkel Dagobert hat eine lange Liste von Straftaten auf dem Buckel: In jeder Geschichte wird gelogen und betrogen, was das Zeug hält. Bei der Verteidigung seines Geldspeichers schreckt er vor Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz ebensowenig zurück wie er skrupellos Sprengstoff und Waffen gegen Menschen einsetzt. Menschenraub und schwere Körperverletzung begeht Dagobert an seinen Neffen. Am empfindlichsten aber trifft den Herrscher des „DD-Imperiums“ mit einem „Stundeneinkommen von über 22 Millionen Talern“ der Vorschlag, das Ducksche Vermögen aus kartellrechtlichen Gründen zu entflechten.

Auch der Rest des Clans ist nicht viel besser. Donald bestiehlt, betrügt und nötigt seine drei Neffen Tick, Trick und Track. Diese wiederum sind zwar strafunmündige Kinder, machen jedoch bei einer „faschistoid-paramilitärischen“ Organisation namens „Fähnlein Fieselschweif“ mit, die verfassungsfeindliche Symbole verwendet. Gustav Gans ist der Typ des Kleingauners, der betrügt und Fundsachen unterschlägt, der Erfinder Daniel Düsentreib kommt mit den Strafvorschriften des Gentechnikgesetzes in Konflikt. Die Panzerknacker AG sind, wie nicht anders zu erwarten, ein bewaffneter Haufen, eine kriminelle und terroristische Vereinigung im Sinne des Gesetzes, für einen ordentlichen Verstoß gegen das Vermummungsverbot aber schier zu blöd: „Die Kerle tragen ihre Kennzifern – wenig schlau – direkt auf der Brust, was eine Identifizierung anhand polizeilicher Viedoaufnahmen ohne weiteres ermöglichen würde“, so das Buch. Die Entenhauser Justiz ist überfordert: Laster, das lehren die Comicelden. lohnt sich eben doch.

„Der Fall Entenhausen“ ist der sechste Band einer Reihe des Frankfurter Eichborn-Verlages, die sich bisher mit den „Fällen“ Max und Moritz, Rotkäppchen und Struwwelpeter beschäftigt hat, und ebenso den „Fall Christkind“ und die „Strafakte Faust“ herausgegeben hat. Auch an den beiden letzten Büchern hat der Bremer Anwalt Klaus Meier mitgeschrieben: „Das ist natürlich Spaß, aber ein bißchen auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem alltäglichen Juristengeplänkel.“ Eine „große Botschaft“ hätten die AutorInnen zwar nicht, aber völlig seicht wollen sie auch nicht sein. Und so fehlen dann auch für den juristisch Eingeweihten (und besonders auf die zielt der Verlag) nicht die Seitenhiebe auf die herrschende Rechtsprechung an deutschen Gerichten: Da gilt den juristischen Gutachtern Dagoberts Goldschnüffel-Sucht als kriminalpolitisch weitaus bedenklicher als ein „gelegentliches Haschischpfeifchen“, da tummelt sich in den Fußnoten die mehr oder weniger augenzwinkernde Kritik an der unüberschaubaren Normenflut im Kartellrecht, an abstruser Rechtsprechung zum Thema Züchtigung von Kindern, an der absurden Hirnakrobatik der juristischen Dogmatik oder an der rechtsäugigien Blindheit der Justiz bei Neonazi-Verbrechen.

Ganz nebenbei liefert das Buch eine Satire der gesamten Juristerei. Das Sündenregister der Ducks bezieht seinen Witz aus der Diskrepanz zwischen der trockenen juristischen Subsumierung von Sachverhalten und den unglaublichen Abenteuern der raffgierigen Enten. Hier der deutsche JuristInnenverstand, dort die fleisch- und federgewordene Ikone des ungebremsten US-Kapitalismus. Das ist überzeichnet, aber es zeigt die Richtung: Wer versucht, die bunte Lebenswirlichkeit gänzlich in starre Formelsprache zu pressen, wird enden wie Onkel Dagobert: Eingemauert in seinem dicken Geldspeicher, abgeschottet von der Realität.

Bernhard Pötter

Botho Bremer: „Der Fall Entenhausen“, Eichborn-Verlag, 1994, 110 Seiten, DM 20