Das Blatt vom Taxifahrer

50.000 Exemplare seines selbstgemachten Witzblattes verkauft der russische Soloproduzent Afonin pro Auflage im ganzen Land  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

„Eigentlich gehöre ich ja ins Guiness-Buch der Rekorde“, sinniert der Moskauer Taxifahrer und Familienvater Viktor Andrejewitsch Afonin: Ganz allein redigiert er nämlich eine Zeitung mit einer Auflage von immerhin 50.000 Exemplaren. Das Presseerzeugnis nennt sich „Teufelsdutzend“ – eine russische Umschreibung für die Zahl Dreizehn – und ist schlicht ein Witzblatt. Aber eines, das es in sich hat. Verse, teilweise nach dem „Wirtinnen- Muster“, aber auch andere, Karikaturen und satirische Kurzgeschichten erhält Viktor Andrejewitsch aus allen Ecken des großen russischen Reiches.

Eigentlich sollte Teufelsdutzend ein Monatsblatt werden, aber Afonin muß schon froh sein, wenn die Zeitung viermal im Jahr herauskommt. Hier liegt offensichtlich eine der Stärken seines Marketings: das Blatt ist an keinerlei Aktualität gebunden. Auch das Vertriebssystem folgt dem Zufallsprinzip. Offiziell wird die Zeitung nämlich nur an einem einzigen Kiosk verkauft, vor der Druckerei, in der sie entsteht. Doch dort erwerben Hunderte von reisenden Privatleuten das Blättchen gleich packenweise. Mit ihnen fliegt und rollt es – oft unaufhaltsam – durch das weite Land. Der Preis ist dementsprechend „frei“.

Etwa zweitausend solcher kleinen Zeitungen sind seit 1991 in Rußland entstanden und wieder eingegangen, schätzt ein Mitarbeiter der statistiklastigen Wochenzeitung Argumenty i Fakty. Die meisten scheiterten am staatlich monopolisierten Papierhandel und an den Vertriebsgebühren. Noch immer gibt es in Rußland nur eine einzige Vertriebsorganisation für Kioske. Und beim Austragen einer Zeitung durch die Post kostet in Moskau heute schon jeder Briefträgerschritt einen Rubel. Dies führt auch für große Blätter, wie etwa die Iswestija, zu ernsthaften Absatzschwierigkeiten. Ein Halbjahresabonnement des renommierten Blattes kostet 75.000 Rubel (ca. 30 Deutsche Mark) – genau die Hälfte davon fließt in die Taschen der Post. Dabei bewegen sich die Monatsgehälter der Austräger heute im Durchschnitt bei umgerechnet 200 Mark.

Kosten dieser Art vermeidet Teufelsdutzend durch seinen originellen Vertriebsweg. Weil das Blatt freilich trotzdem „ein paar klitzekleine Verluste macht“, fährt Afonin noch heute an drei Tagen in der Woche Taxi. Diese Tätigkeit hat er seit eh und je auf das harmonischste mit dem Sammeln von Witzen verbunden. Der Mann ist eine klassische Inkarnation dieses Moskauer Berufsstandes, wie man ihn angesichts der zunehmenden Kriminalität kaum noch antrifft: tapsig, freundlich, mit gutmütigen wasserhellen Äuglein im Bärenschädel.

Honorare zwischen drei- und zehntausend Rubel (umgerechnet eine bis fünf Mark) zahlt Afonin seinen AutorInnen aus eigener Tasche und unterschreibt die Rechnungen mit „Hauptbrusthalter“. Ganz in der Tradition von Eulenspiegeleien pflegt das Teufelsdutzend seine eigene Ikonographie bis hin zur Selbstdarstellung der AutorInnen. Als „alleinerziehende Mutter“ bezeichnet sich die Verfasserin einer spritzig-absurden Kurzgeschichte: „Ganz allein erziehe ich meinen Mann und zwei Kinder“.

Das Impressum im Zeitungsinneren ist geradezu eine Parodie auf die „Verantwortlichkeit im Sinne des Pressegesetzes“. Das hat, natürlich, bereits Zoff in Ämtern gegeben. „Aber, sagt Viktor Andrejewitsch, „das bringt die Bürokraten zum Lachen, und schon habe ich bei ihnen gewonnen“.

Registrieren lassen konnte Afonin sein Blättchen 1990, als erstmals ein Pressegesetz private Herausgeberschaft erlaubte. Jahrelang hatte er von einer eigenen Zeitung geträumt, mit ihm eine Schar gleichgesinnter potentieller AutorInnen, die noch heute gemeinsam den „Club Teufelsdutzend“ bilden. „Wir waren seit den 70er Jahren die Pechvögel der Moskauer Redaktionsschwellen.“ Damals hatten sie einander immer wieder die Klinke in die Hand gegeben – auch wenn man nicht sagen kann, daß Leute wie er durchwegs ignoriert wurden. Einmal gewann Viktor Andrejewitsch sogar den Literaturpreis „das Goldene Kalb“ – für eine von der Literaturnaja Gaseta veröffentlichte Erzählung. Dennoch fühlten er und seine Freunde sich literarisch unterrepräsentiert: „Die Redaktionen sind geschlossene Kreise. Mein Motto dagegen lautet: Auf dem Olymp ist Platz für alle.“ Wehmütig bedauert Afonin, nicht all das „wunderbare Material“ veröffentlichen zu können, das noch bei ihm zu Hause liegt. „Wenn Sie nur wüßten, was für begabte Jungs und Mädels da schreiben und zeichnen, wirklich genial!“

Daß sich viele der Witze in seiner Zeitung auf plumpe, sexuelle Anspielungen beschränken, stört Afonin wenig. Über eine Zeichnung eines in ein Präservativ gehüllten Wurmes, der seinem Artgenossen erklärt: „Jetzt habe ich keine Angst mehr vor Aids“, kann er offenbar noch lachen. Trotzdem entschuldigt er sich: „Wir müssen ja an die Breitenwirkung denken. Mein Traum ist, mit Hilfe von Sponsoren eine Millionenauflage zu erzielen – um noch mehr jungen Talenten ein Sprungbrett zu bieten“.

Und dann steht ja auch im Impressum: „Die Meinung der Redaktion stimmt (zu deren Leidwesen!) nicht immer mit der Meinung der Ehefrau des Chefredakteurs überein.“