Kein Ausweg in Marseille

■ Paris erwägt Stürmung des entführten Flugzeugs aus Algerien / FIS verurteilt Kidnapper

Marseille (rtr/AFP) – Die Entführung eines französischen Flugzeugs mit etwa 230 Insassen hat Frankreich und Algerien über Weihnachten in Atem gehalten. Vermutlich radikale Islamisten hatten den Airbus der Fluggesellschaft Air France am Heiligabend auf dem Flughafen der algerischen Hauptstadt Algier in ihre Gewalt gebracht und mit der Ermordung von drei Passagieren die Erlaubnis zum Flug nach Frankreich erzwungen. Die Maschine stand gestern nachmittag auf dem Flughafen der südfranzösischen Stadt Marseille; die Luftpiraten verlangten das Auftanken für den Weiterflug nach Paris, Toilettenreinigung, Lebensmittel für ihre Geiseln und eine Pressekonferenz unter Beteiligung der US-Fernsehgesellschaft CNN. 65 ihrer Geiseln hatten sie im Laufe der Entführung freigelassen, an Bord verblieben danach noch etwa 170 Menschen.

Die französischen Behörden stellten auf dem Flughafen von Marseille Mitglieder der Elitepolizeieinheit GIGN für eine eventuelle Erstürmung des Flugzeugs bereit, während sie gestern nachmittag weiter mit den Geiselnehmern verhandelten und Lebensmittel für die Passagiere bereitstellten. Eine französische Erstürmung des Flugzeugs, während es sich noch auf dem Flughafen von Algier befand, hatte die algerische Regierung abgelehnt. Algerien ließ die Maschine in der Nacht zum Montag nach Frankreich ausfliegen.

Frankreichs Premierminister Edouard Balladur hatte am Wochenende seinen Winterurlaub in den Alpen unterbrochen und war nach Paris zurückgekehrt. Verschiedene Beobachter spekulierten auf eine Stürmung der Maschine noch im Laufe des gestrigen Montags. Henri Roux- Allezais, Präsident der Handelskammer von Marseille, die den Flughafen betreibt, sagte, es sei mit dem Schlimmsten zu rechnen. Algeriens Innenminister Abderrahman Mazian Cherif kritisierte den Piloten des Flugzeugs, der in Algier eine „humanitäre Aktion“ zur Befreiung der Geiseln verhindert habe. Ein Sprecher von Air France in Paris lobte dagegen die Besatzung für ihren Mut.

Vier der fünf Geiselnehmer sollen der radikalislamistischen „Bewaffneten Islamischen Gruppe“ (GIA) angehören, die in Algerien für einen islamischen Staat kämpft und jeglichen politischen Dialog ablehnt. Die Exilführung der „Islamischen Heilsfront“ (FIS), die Ende 1991 die ersten freien Wahlen in Algerien gewonnen hatte und nach dem Militärputsch verboten worden war, verurteilte in einer aus Bonn verbreiteten Erklärung die Entführung „ebenso wie deren Auftraggeber und Urheber sowie deren Forderungen“. Die Tat beweise aber, daß Algeriens Militärjunta „gescheitert“ sei. D. J. Tagesthema Seite 3