■ Das Portrait
: John Bruton

Er wird als „Interimsregierungschef“ in die irische Geschichte eingehen. Das vermuten jedenfalls seine Kritiker. Laut einer Umfrage vor zwei Wochen glauben nur zehn Prozent der Bevölkerung, daß John Bruton, der gestern vom Parlament mit 84 zu 75 Stimmen zum Premierminister gewählt worden ist, für das Amt geeignet sei. Bei öffentlichen Auftritten wirkt der 47jährige, als ob er einen „Charisma-Bypass“ hinter sich habe. Seinen Aufstieg zum Regierungschef verdankt er dem Glück.

Noch vor zwei Wochen war er politisch erledigt: Seine eigene Partei, Fine Gael, war drauf und dran, ihn in die Wüste zu schicken, weil er es nicht geschafft hatte, aus dem Sturz der Koalitionsregierung von Fianna Fáil und der Labour Party Kapital zu schlagen. Als jedoch die Verhandlungen zwischen den Regierungspartnern endgültig zusammenbrachen, kam über Nacht der bereits abgeschriebene John Bruton wieder ins Spiel. Eine Regenbogenkoalition aus Fine Gael, Labour und Democratic Left schien die einzige Möglichkeit, Neuwahlen zu verhindern.

Bruton ist Verfechter der freien Marktwirtschaft. In sozialen Fragen gehört er dem liberalen Parteiflügel an. Er tritt u.a. dafür ein, Ehescheidungen zu legalisieren. Was den Friedensprozeß in Nordirland angeht, so wird er eine Neuer irischer RegierungschefM. Turner/Irish Times

langsamere Gangart anschlagen als sein Vorgänger Reynolds. Der hatte ihn im Parlament zweimal versehentlich als „John Unionist“ angesprochen – ein Freudscher Fehler: Bruton steht den protestantischen Unionisten näher als der nationalistischen Sinn Féin, die er erbittert bekämpft hat. Erst seit das Amt des Premierministers in Sichtweite gekommen ist, schlägt er weichere Töne an.

Bruton wurde 1947 in Dublin geboren und ist eigentlich Bauer. Nach seiner Schulzeit studierte er Jura. Mit 21 Jahren wurde er ins Parlament gewählt, drei Jahre später war er bereits Parteisprecher für Landwirtschaft. 1981 und 1986 war er Finanzminister in den Koalitionsregierungen mit der Labour Party. Es gelang ihm jedoch nie, seinen Haushaltsplan durchzusetzen. Bei beiden Versuchen brachte er gleich die jeweilige Regierung zu Fall. Aus dieser Zeit stammt auch die kühle Beziehung zwischen Bruton und dem heutigen Labour-Chef Dick Spring. Es bedarf keiner hellseherischen Fähigkeiten, um der neuen Regierung eine kurze Lebensdauer zu prophezeien. Bruton wird wohl eine Fußnote der irischen Geschichte werden. Ralf Sotscheck