Freiheitsentzug ist eine lukrativ gewordene Ware

■ In Großbritannien mehren sich Privatknäste. Die Gewalt steigt immens an, aber das von der Regierung wie Labour getragene Privatisierungsprogramm läuft weiter.

Dublin (taz) – Die Labour Party trage genausoviel Schuld an dem beispiellosen Anstieg der britischen Gefangenenzahlen wie die Regierung. Diese Meinung vertritt der Londoner „Prison Reform Trust“ in seinem kürzlich veröffentlichten Jahresbericht.

Heute sitzen 20 Prozent mehr Menschen hinter Gittern als noch Anfang 1993. Insgesamt sind es mehr als 50.000. Die Zahl der Untersuchungshäftlinge erreichte im Januar mit 12.100 einen Rekordstand. Stephen Shaw, der Direktor des „Prison Reform Trust“, erklärt diesen Tatbestand aus dem „völlig unpassenden Wettstreit zwischen Labour und Tories um den Ruf, schärfste Law-and-Order-Partei zu sein“. „Politische Rhetorik ist genauso wie die Regierungspolitik dafür verantwortlich, daß die Gerichte härtere Strafen verhängen“, sagte Shaw gegenüber der taz.

Die Privatisierungen von Knästen hält er für eine Katastrophe. Im Doncaster-Gefängnis, das Ende Juni von dem US-amerikanischen Unternehmen Premier Prisons eröffnet wurde, könne das Personal die Gefangenen nicht kontrollieren, sagt Shaw. „Es gab bereits zwei Selbstmorde, und Besucher fürchten um ihre Sicherheit.“ Auch in den anderen beiden Privatgefängnissen ist die Bilanz nicht gerade ermutigend. Das frühere Staatsgefängnis Blakenhurst, das 1993 in den Besitz des Konsortiums „UK Detention Services“ überging, hat die höchste Zahl von tätlichen Angriffen gegen Wärter als auch Mitgefangene. Das sind viermal soviel wie in dem berüchtigten Gefängnis Brixton, wo die Zahl der Gefangenen doppelt so hoch ist. Auch in Wolds, das 1992 von der „Group 4“ eröffnet wurde, sind Tätlichkeiten gegen Aufseher dreimal so häufig wie im Landesdurchschnitt. Direktor Stephen Twinn führt das darauf zurück, daß die Gefangenen viel mehr Zeit außerhalb ihrer Zellen verbringen dürfen als in Staatsknästen.

Dabei ist Wolds ein „Ausstellungsstück“: Hier sind längst nicht alle Zellen belegt, und Häftlinge, für die höchste Sicherheitsvorkehrungen gelten, werden nicht nach Wolds geschickt. Twinn sieht Wolds als Investition: „Natürlich wollen wir hier Geld verdienen“, sagt er. „Aber es handelt sich um ein Projekt von höchstem Prestige. Als Unternehmen können wir uns hier einen Markt eröffnen.“ Der Markt ist groß und lukrativ: „Group 4“ will die Politiker davon überzeugen, den Unternehmen auch Polizeifunktionen, wie die Überwachung von Wohngebieten mit hoher Kriminalität, anzuvertrauen.

Offenbar übt man dafür schon im Wolds- Gefängnis. Ehemalige Gefangene haben erzählt, daß es dort zugehe wie in einem harten Vorstadtviertel, wo nur das Recht des Stärkeren gilt. Schwächere werden mit Messern, Tischbeinen oder Billardbällen traktiert. „Group 4“ hat absichtlich keine Wärter aus anderen Gefängnissen rekrutiert, sondern Vertreter, Lehrer und Kraftfahrer angeworben. Dahinter steckte die durchaus begrüßenswerte Absicht, mit dem alten Gefängnisstil zu brechen. Doch die Wärter müssen sich oft mit Gefangenen arrangieren, die bei Mithäftlingen zuschlagen.

Die Privatisierung der Gefängnisse ist bis heute weder einer Untersuchung unterzogen worden, noch gab es jemals eine Parlamentsdebatte darüber. Sämtliche Entscheidungen wurden per Verwaltungsanordnung gefällt. Über die finanziellen Vereinbarungen mit den Privatfirmen herrscht Stillschweigen. So kann niemand die Behauptungen der Regierung nachprüfen, daß private Gefängnisse „effizienter und deshalb ihr Geld wert sind“. Es gibt jedoch verschiedene Indizien dafür, daß Wolds die SteuerzahlerInnen etwa genausoviel kostet, wie ein staatliches Gefängnis. Außerdem wurden die Baukosten bisher aus dem Staatssäckel bezahlt und die Unternehmen müssen für die Benutzung nichts bezahlen. In Zukunft sollen diese Unternehmen zwar Standortwahl, Planung und den Bau der Privatgefängnisse in eigener Regie durchführen, doch wird der Staat dann mehr für die in Anspruch genommenen Dienste hinblättern müssen.

Öffentliche Gelder kann man mit den Privatgefängnissen also nicht sparen. Dafür rentieren sich aber die Privatinvestitionen. Die US-Amerikanerin Sharon Johnson von der „Corrections Corporation of America“ (CCA) wurde zur Projektleiterin von Blakenhurst ernannt. Die CCA, die in den USA im Geschäft mit den Privatknästen stark engagiert ist, gehört zu demselben Imperium wie „Kentucky Fried Chicken“. Vermutlich hat sich Johnson von den Hühnerbratern inspirieren lassen: So müssen die Gefangenen in Blakenhurst Metallarmbänder mit einem Strichcode tragen. Ein Lasergerät, das die Strichcodes lesen kann, meldet den Aufenthaltsort der Gefangenen an einen Zentralcomputer. Darüber hinaus ließ Johnson überall Videokameras anbringen, so daß die Gefangenen auch von wenigen Aufsehern lückenlos überwacht werden können. In den Privatgefängnissen beträgt das Verhältnis von Aufsehern zu Gefangenen eins zu drei, während es landesweit bei eins zu zwei liegt. Und wo sonst könnte man sparen, als an den Personalkosten?

„Die Regierung sollte ihre Privatisierungspolitik noch mal überdenken“, forderte Harry Fletcher von der Kampagne „Gefängnisse sind nicht zum Profitmachen da“, die von den Gewerkschaften unterstützt wird. Doch das Privatisierungsprogramm geht weiter: Anfang nächsten Jahres wird Buckley Hall als vierter Privatknast neu eröffnet. Die Ausschreibung für die Leitung solcher neuen Gefängnisse sei „auf großes Interesse gestoßen“, wie ein Sprecher für die Gefängnisaufsichtsbehörde frohlockte. Die Privatisierung bereits existierender Gefängnisse ist jedoch vorerst durch eine Klage des Verbands der Gefängniswärter gebremst worden. Sobald die Sache geklärt ist, will Innenminister Michael Howard ein oder zwei Staatsgefängnisse in private Hände geben, um „den Markt zu testen“. Ganz oben auf seiner Liste stehen Leeds, Norwich, Cardiff, Durham und Style – die Knäste, in denen Ausbrüche, Tätlichkeiten, fehlende Arbeitsmöglichkeiten und Kosten am höchsten sind. Die Gewerkschaften prophezeien, daß diese Gefängnisse daher bei Privatunternehmen auf das geringste Interesse stoßen werden. Ralf Sotscheck