Jedem Klo sein Deckelchen

Heute und morgen zeigt das Eiszeit-Kino die Homo-Kurzfilmreihe „Genderfuck“  ■ Von Micha Schulze

Jede Tunte kennt das Problem: Spätestens, wenn in der Kneipe die Blase drückt, stellt sich die Frage nach der „richtigen“ Toilette. Entscheidet sich die Tunte fürs Herrenklo, muß sie mit blöden Anmachen rechnen, im Frauen-WC hingegen erschrecken sich allzuoft die biologischen Damen. Gibt es ausnahmsweise eine dritte Toilette, ist sie leider nicht fürs „dritte Geschlecht“, sondern für Behinderte gedacht.

Das Klo-Dilemma der Menschen, die sich jenseits und zwischen allen Geschlechterrollen bewegen, zieht sich als roter Faden durch das Kurzfilmprogramm „Genderfuck“, das heute und morgen im Kreuzberger Eiszeit-Kino läuft. Ganz neu ist die kunterbunte Zusammenstellung von Videos, Musikclips und Dokstreifen zu Androgynität, Transvestitismus, Transsexualität und Cross-Dressing nicht: Anfang November lief das Programm bereits auf dem internationalen schwul-lesbischen Filmfestival, war jedoch beide Male ausverkauft. Nicht zuletzt, weil nach der Uraufführung das Telefon einer Transsexuellen-Beratungsstelle „nicht mehr stillgestanden“ habe, wie Veranstalter Jürgen Brüning berichtet, entschloß man sich zur Wiederholung.

Diesmal kommt „Genderfuck“ leicht abgewandelt auf die Leinwand: Anstelle der australischen Kurzfilme wurde Susan Marencos vierzigminütiger Dokstreifen „Adventures in the Gender Trade“ (USA 1993) ins Programm genommen – der einzige Film, der sich nicht mit künstlerischen oder spielerischen Mitteln den Geschlechterrollen zu nähern sucht, und der zudem den besten Überblick gibt über das Neunziger-Jahre-Modethema der amerikanischen Lesbenszene.

Dafür, daß die Rollenspiele und -diskussionen auch in Berlin vorankommen, werden Birgit Scheuch und Barbara Wieler mit einer Live-Performance sorgen: Die beiden Organisatorinnen des Homofilmfests schlüpfen vor Beginn des Filmprogramms in die Stereotype der femininen (femme) und der maskulinen Lesbe (butch) und greifen dabei szenetypische Fehden und Debatten auf. Weil die beiden allerdings permanent ihre Rollen wechseln, weiß am Ende keine einzige ZuschauerIn mehr, was „männliches“ oder „weibliches“ Verhalten überhaupt bedeutet.

Während Dennis Conroys Musikclip „45 RPM Love“ (USA 1994) und Alix Umens Video „Mad About the Boy“ (USA 1994) im knapp zweistündigen Film- Marathon zu den ästhetischen Highlights gehören, nähert sich „Mister Sister“ (USA 1994) dem Thema auf die unterhaltsamste Weise: Ingrid White, stadtbekannte Filmemacherin aus San Francisco, läßt zwei Lesben in ihrem Alltagskampf in immer neue Rollen schlüpfen. Die Regisseurin macht dabei selbst vor den albernen Dresscodes der Schwulen nicht halt: Nur schnell in schwarze Lederjacke und zerrissene Jeans geschlüpft, Schnauz angeklebt und dunkle Sonnenbrille aufgesetzt, und schon wird frau beim outside- cruising angebaggert ...

Einen Ausweg aus dem Klo-Dilemma der Tunten, Transen, weiblichen Diven und Kurzhaarlesben weist unterdessen das Sieben-Minuten-Video „He She Pee“ (USA 1994) von Alisa Surkis. Nachdem auch ein Schildertausch an den Türen einer Herren- und Damentoilette weiterhin für Verwirrung und Unzufriedenheit der multisexuellen Pinkelgäste sorgt, können schließlich alle mit der neuen Unterteilung in „femme“-WC und „butch“-Klo prima leben. Nun ist nicht mehr entscheidend, was mensch zwischen den Beinen hat, sondern wie mensch sich fühlt.

Leider hat auch Regisseurin Alisa Surkis bei ihrem emanzipatorischen Toilettenmodell nicht an alle gedacht: Auf welchem der beiden Klos, bitteschön, sollen sich denn nun androgyne Menschen wohlfühlen?

Heute nur für Frauen, morgen auch für Männer im Eiszeit-Kino, Zeughofstraße 20, Kreuzberg, Beginn jeweils 21.15 Uhr.