Richter führen schnelle Telefonate mit amnesty international

■ Rechtsanwälte: „Flughafenverfahren“ für Asylbewerber karikieren den Rechtsstaat

Frankfurt/Main (taz) – Mit Rechtsstaatlichkeit haben viele dieser Verfahren nichts mehr zu tun: Seit dem 1. Juli 1993 können Asylbewerber im sogenannten Flughafenverfahren abgefertigt werden. Bizarre richterliche Entscheidungen nach diesem Verfahren schilderten gestern Anwälte der Betroffenen. Die AnwältInnen Helmut Becker, Ursula Schlumm- Muntau, Antje Becker und Marco Bruns bezeichneten das Verfahren nach Paragraph 18a des Asylverfahrensgesetzes als „Justizlotto“ und „Geheimverfahren“.

„Lotto“ werde am Flughafen gespielt, weil die Verfahren „jeglicher Rationalität“ widersprechen würden, sagte Rechtsanwalt Becker. So seien den Anwälten „mindestens dreizehn Fälle“ bekanntgeworden, in denen das Bundesamt die Asylanträge von Flüchtlingen als „offensichtlich unbegründet“ zurückgewiesen und der Bundesgrenzschutz (BGS) danach die Zurückweisung verfügt habe. Nach Eilanträgen beim zuständigen Verwaltungsgericht aber hätten diese Verfahren dann mit der Anerkennung der Betroffenen als Asylberechtigte geendet. In elf weiteren Fällen habe das Verwaltungsgericht für vom Bundesamt abgelehnte Asylbewerber einen Abschiebeschutz verhängt.

Doch auch die VerwaltungsrichterInnen, so Becker weiter, seien bei der Entscheidungsfindung oft überfordert. Das habe etwa im Fall einer fünfköpfigen „kurdischen Reisegruppe“ aus der Türkei dazu geführt, daß drei verschiedene Kammern bei Betroffenen mit dem gleichen Schicksal zu drei verschiedenen Entscheidungen kamen.

Von „Geheimverfahren“ sprachen die AnwältInnen, weil auch bei den Verwaltungsgerichten oft auf die Eruierung sicherer Entscheidungsgrundlagen verzichtet werde. Die Verfahren sollten einfach so schnell wie möglich zum Abschluß gebracht werden. Das führe dazu, daß Richter per Telefon etwa bei amnesty international Erkundigungen über die Situation in einem bestimmten Land einholen würden. Die Betroffenen und ihre Anwälte blieben uninformiert oder müßten dann in kürzester Zeit dazu Stellungnahmen erarbeiten. Rechtsanwalt Becker: „Man stelle sich vor, ein Richter würde in einem Strafverfahren das Urteil ohne mündliche Verhandlung nach telefonischem Zwiegespräch mit einem Zeugen fällen. Das sind den Rechtsstaat karikierende Verfahrensweisen.“

Ein „besonders kurzer Prozeß“ werde mit Kindern gemacht. Sie seien im Verfahren „Objekt und nicht Subjekt“ und würden ohne jegliche Berücksichtigung ihrer Interessen und Überlebenschancen zurückgeschickt. Denn Kinder unter 16 Jahren können weder einen Asylantrag stellen noch Rechtsmittel einlegen. Die AnwältInnen forderten deshalb die ersatzlose Abschaffung des Paragraphen 18a Asyl VfG und die Wiederherstellung rechtsstaatlicher Verhältnisse. Dafür sprächen auch die „nackten Zahlen“, denn im Gegensatz zu den Prognosen der Bundesregierung würden am Flughafen nur wenige Asylanträge als „offensichtlich unbegründet“ sofort abgelehnt. So hätten im ersten Halbjahr 1994 exakt 1.168 Personen auf dem Rhein-Main-Flughafen einen Asylantrag gestellt. 1.047 Personen sei danach die Einreise gestattet worden – und nur 77 Personen wurden zurückgewiesen. Becker: „Nur um diese 1,4 Prozent AsylantragsstellerInnen herauszufiltern, wurde dieses aufwendige und kostenintensive Verfahren installiert.“ Klaus-Peter Klingelschmitt