Kubas Reformen greifen

Mehr freie Märkte und freie Berufe / Subventionstopp für unrentable Betriebe / Hoher Weltmarktpreis für Zucker rettet Devisenbilanz  ■ Aus Havanna Bert Hoffmann

Als am Wochenende in Miami die Staatschefs aller Amerikas beschlossen, über eine Freihandelszone von Alaska bis Feuerland zu verhandeln, durfte Fidel Castro nicht dabeisein. Kuba ist für die USA immer noch ein Tabu. Und nach der Wahlschlappe der Demokraten besteht noch weniger Hoffnung auf eine Wende. Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Senats ist nicht mehr Claiborne Pell, die sich offen für ein Ende des Embargos gegen die Karibikinsel ausgesprochen hatte, sondern der Rechtsaußen der Republikaner, Jesse Helms, der kürzlich zum besten gab, daß es nützlicher gewesen wäre, US-Truppen nach Kuba statt nach Kuwait zu schicken.

Doch auf der sozialistischen Insel scheint das Schlimmste überwunden. Die Wirtschaftsplaner, Politbüromitglied Carlos Lage und Finanzminister José Luis Rodriguez, verkünden: „Die Krise hat ihre Talsohle erreicht.“ Nun ist die Beschwörung von Optimismus in Kuba nichts Neues. Neu jedoch ist, daß Castros Ökonomen tatsächlich auf eine Reihe positiver Entwicklungen verweisen können – zum ersten Mal nach fünf Jahren.

Der größte Erfolg ist zweifelsohne der wiedergewonnene Wert der kubanischen Währung. Mußten im Juni noch 130 bis 140 Pesos für einen schwarz getauschten Dollar hingelegt werden, wird die US-Währung in den Straßen von Havanna heute für 30 bis 40 Pesos gehandelt. Der durchschnittliche Monatslohn – 200 Pesos – ist damit immer noch erbärmliche fünf bis sechs Dollar wert (von der theoretisch noch heute gültigen 1 : 1-Parität von Peso und Dollar ganz zu schweigen). Dennoch ist das psychologische Signal nicht zu unterschätzen. Der Fall des Peso ist gestoppt, langsam kehrt das Gefühl zurück, daß auch die bunten Scheine mit den Bildern von Che und Fidel wertvoll sind.

Allerdings: Die Regierung hat im Mai die Preise für Zigaretten und Alkohol, Strom und Wasser drastisch angehoben sowie eine Vielzahl neuer Abgaben und Gebühren eingeführt, um den Währungsüberhang abzubauen. Zudem wurden Subventionen für Staatsbetriebe gestrichen, um das astronomische Haushaltsdefizit um über ein Drittel zu reduzieren, von 5 Milliarden Pesos 1993 auf 3,2 Milliarden in diesem Jahr. 1995 soll es noch einmal halbiert werden.

Entscheidend für die vorläufige Stabilisierung des Peso ist das erhöhte Warenangebot, seit Anfang Oktober die Bauernmärkte wieder zugelassen wurden. Am 1. Dezember folgten Märkte für Handwerks- und Industrieprodukte. Auf den neuen Märkten sind Nahrungsmittel und andere begehrte Waren legal für Pesos zu kaufen, der allgegenwärtige Schwarzmarkt ist erheblich entkriminalisiert worden. Galten Schwarzmarktgeschäfte früher als konterrevolutionäre „Verbrechen gegen das Volk“, so tun die Händler heute grundsätzlich Akzeptiertes, nur daß ihnen die Lizenz fehlt – ein vergleichsweise harmloses Delikt.

Mehr Selbständige, aber auch mehr Arbeitslose

Nachdem die Insel für ausländische Investoren bereits seit einigen Jahren geöffnet ist, scheinen nun die Reformen auch für die Kubaner selbst voranzukommen. Der Minister für Arbeit und Soziales, Linare, hat die baldige Legalisierung von privaten Garküchen und Kleinrestaurants in Aussicht gestellt, die im ganzen Land bereits jetzt klandestin operieren. Und noch vor Jahresfrist soll das kubanische Parlament die Liste von bislang 120 selbständig auszuübenden Tätigkeiten um 39 neue Berufe erweitern. Auch Lehrern, Ärzten und anderen Akademikern soll nebenberufliche „Arbeit auf eigene Rechnung“ gestattet werden. Bislang sind erst 160.000 Kubaner offiziell als Selbständige registriert. Sie sind per Gesetz auf Ein-Personen- oder Familienbetriebe beschränkt und dürfen keine Angestellten beschäftigen.

Havannas Planer wissen jedoch, auf welch dünnes Eis ihre Hoffnungen gebaut sind. Für die Sanierung der Staatsfinanzen zahlt Kuba einen bitteren Preis: die massenhafte Entlassung von Arbeitern und Angestellten aus den Staatsbetrieben. Bereits jetzt sind Zehntausende „frei-“ oder umgesetzt worden. Ökonomen in Havanna gehen von 1,5 Millionen Kubanern aus, die unweigerlich ihre Arbeit verlieren werden.

Ausnahmsweise war in diesem Jahr der Weltmarkt den sozialistischen Planern zur Seite gesprungen. Der Zuckerpreis ist zur Zeit so hoch wie seit über vier Jahren nicht mehr. So konnten die Exporteinnahmen einen leichten Zuwachs um 3,5 Prozent verbuchen, obwohl die Zuckerrohrernte noch schlechter ausgefallen ist als 1993. Kubas Devisenbilanz ist damit gerettet, das Embargo der USA wiegt dennoch schwer. Ein positives Zeichen gab es aber auch hier: Zum ersten Mal seit über 30 Jahren hat die US-Regierung einem Telefonunternehmen aus Mississippi erlaubt, eine Direktverbindung nach Kuba zu eröffnen.