■ Stadtmitte
: Freiräume des gesicherten Konsums

Randgruppen haben es nicht leicht in Berlin, das ist bekannt. Da sie weitgehend rechtlos sind und kaum öffentliche Aufmerksamkeit genießen, werden sie gern in die Randbereiche der Stadt verdrängt und fügen sich zumeist auch lautlos in ihr Schicksal. Gelegentlich jedoch melden sie sich zu Wort und machen auf ihr Los aufmerksam. Solche Wortmeldungen sind dann oft laut und emotional, häufig wirken sie wie ein Schrei.

Peter Hosemann, hauptberuflich Geschäftsführer der Spielbank im Europa-Center, ist Sprecher einer solchen Randgruppe, der Verelendung und Verdrängung droht. Hosemann ist Vorstand der „AG City“, dem Zusammenschluß der Handel- und Gewerbetreibenden rund um den Kurfürstendamm.

Was ihnen das Leben so schwermacht, sind pompöse Straßenfeste wie die „Europaparty“, Kinder-Fahrradrennen, die „Love-Parade“, der Christopher Street Day und natürlich Demonstrationen aller Art. 92 waren es in diesem Jahr, siebzehn Prozent aller Demos in dieser Stadt. Dies vertreibt ihnen die Bummelkundschaft, weshalb der Aufschrei Peter Hosemanns in der letzten Woche denn auch lautete: „Demonstrationen runter vom Ku'damm.“

So weit, so amüsant. Man könnte mit einem Schmunzeln darüber hinweggehen, schließlich wiederholt sich diese Klage alle Jahre wieder. Allerdings ist die „AG City“ eine Randgruppe mit Einfluß. Als sie Mitte letzten Jahres nach längerer „Verunsicherung“ durch betrügerische Hütchenspieler, fliegende Händler und Bettler einen privaten Wachdienst mit zweifelhaftem Ruf engagierte, führte dies auf Polizeiseite nahezu umgehend zu einer speziellen Ku'damm-Polizei, den „City-Cops“.

Auch diesmal reagiert die Politik wieder prompt. Innen-Staatssekretär Armin Jäger verkündet, den Verwaltungsgerichten, die in Streitfällen über die Zulässigkeit einer Demonstration zu befinden haben, künftig „präzisere Urteilsgrundlagen zukommen (zu) lassen, etwa über den wirtschaftlichen Schaden, der Anliegern entsteht“.

Meinungsfreiheit contra Profitmaximierung? Noch darf man sicher sein, wie dieser Streit ausgehen wird. Der Ku'damm ist öffentliches Straßenland und Demonstrationsfreiheit in der Bundesrepublik immerhin ein verbrieftes Grundrecht. Was aber geschieht mit der zunehmenden Ausbreitung von privaten Zonen mit halböffentlichem Charakter – Ladenpassagen wie das Europa- Center, das Ku'damm-Karree und ähnliche? Hier haben die Eigentümer das Hausrecht und damit das Sagen. Wie sich dies auswirken kann (und vermutlich wohl wird), zeigen die Shopping Malls in den USA, jene riesigen Einkaufsanlagen, die halben Städten gleichen: Privates Sicherheitspersonal schafft Freiräume gesicherten Einkaufs und ungefährdeten Joggings.

Wer dies nicht will oder kann, bleibt außen vor. Eine Konfrontation mit der sozialen Wirklichkeit findet nicht mehr statt.

Berlin 2000, Hauptstadt der Bundesrepublik, Sitz der Bundesregierung und der Weltkonzerne. Kurfürstendamm, Pariser Platz, Unter den Linden – und dann eine Einkaufs- und Flaniermeile mit privaten Sicherheitsrechten? Abgerundet durch die Bannmeilen von Reichstag, Regierungsviertel und Preußischem Landtag? Eine City ohne lästiges politisches Räsonnement, ohne soziale Konfrontation?

Dies kann gesellschaftlich nicht gewollt sein. Politische Agonie wäre eine der Folgen. Die zunehmende private Ausfransung des staatlichen Gewaltmonopols sollte daher zum Anlaß genommen werden, über die Art der heutigen Sicherheitsgesellschaft und die in den Sicherungen selbst steckenden Unsicherheiten nachzudenken – und entsprechend zu handeln. Otto Diederichs

Redakteur und Mitherausgeber des in Berlin erscheinenden Informationsdienstes Bürgerrechte & Polizei/CILIP