Manche hungern noch gegen den Krieg ...

■ Stephan Tontic, serbischer Dichter aus Bosnien, las in der Kulturbrauerei

Er heißt Stephan Tontic und ist ein serbischer Dichter aus Bosnien, der von drei Armeen gesucht wurde. Momentan hat er Zuflucht in Berlin gefunden. Seine Gedichte sind ins Englische, Polnische, Russische und ins Hebräische übersetzt. Eingeladen von seinem Freund Lutz Rathenow, las er am Donnerstag abend in der Kulturbrauerei – unter anderem auch ein Gedicht über einen jungen Serben, der sich selbst aushungert, um nicht gemustert und für kriegstauglich befunden zu werden.

„Ein Kilo Soldat kann ein Kilo Eisen tragen“, hat er gehört und versucht, weiterzuhungern. Tontic las mit leiser Stimme, hob manchmal nur kurz vor Erstaunen den Kopf, als der Lärm draußen zu stark wurde: genau zur gleichen Zeit feierten bekanntlich die Galionsfiguren der PDS, daß sie die von der SED zusammengeraubten Millionen doch noch eine Weile behalten dürfen.

Zu Tontics Lesung waren nicht mehr als sieben Zuhörer gekommen, darunter eine mürrische Lemurengestalt, die verächtlich alles mitschrieb und aussah, als käme sie von der Jungen Freiheit oder der Jungen Welt. Wiederum ein kurzer Blick Tontics, als die Gestalt schnaufend davonmarschierte. Er hatte in Sarajevo Schlimmeres erlebt. Stephan Tontic, der vor 15 Jahren ein Stipendium in Ostberlin hatte, übersetzte damals einige von Rathenows Gedichten ins Serbokroatische und las jetzt aus dessen neuem Band „Verirrte Sterne“ (Merlin Verlag, Gifkendorf).

„Wut, gut gekühlt“ bei Rathenow, ein spöttisch-sprödes Provozieren und erkennbar von Benn beeinflußte Kriegsbeschreibungen bei Tontic: „Hautfetzen flattern wie Fähnchen.“ Doch der Abstand, die Kälte und Unbeteiligtheit stellen sich nicht ein; Gedichte entstehen so, deren Intensität es schwermacht, sie auszuhalten. Manchmal scheint die Emotion auch noch zu übermächtig, um eine Form zu finden.

Und obwohl ich selbst für Gremlizas Sudelküche unter „Dissidentennachwuchs und Rathenow-Intimus“ laufe (was meine Vorlieben einigermaßen verkennt), braucht man es nicht zu relativieren: Es ist sympathisch, wie hier ein Autor sein Spiel mit den Medien nutzt, um einem Freund ganz praktisch im Alltag zu helfen. Seine Gedichte finden dann allein den Weg zum Leser, wie Tontics erster Lyrik-Band auf deutsch: „Handschrift aus Sarajevo“ (Verlag Landpresse, Köln).

Am Dienstag abend liest Stephan Tontic im Haus der Demokratie aus einem Essay, der demnächst im Klagenfurter Wieser- Verlag erscheinen wird: Literarische Denkmalstürze als Vorbereitung des Krieges. Und noch ein kleines PS für den Poeten Adolf Endler: Marko Martin ist kein Pseudonym für Lutz Rathenow; mich gibt es wirklich. Marko Martin

Am 13. 12., liest Stephan Tontic im Haus der Demokratie, 19.30 Uhr, Friedrichstraße 156, Mitte.