Blühende Landschaften im Winter?

Die Arbeitslosenzahl liegt im Osten erstmals seit drei Jahren unter einer Million / Ohne ABM wären in Ost und West zusammen mehr als fünf Millionen Menschen ohne Job  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

Nürnberg (taz) – Ende November waren hierzulande 3,43 Millionen Menschen ohne Arbeit. Bernhard Jagoda, Präsident der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit (BA), sprach gestern bei der Vorstellung der Statistik von einer „relativ günstigen Entwicklung“ der Arbeitslosigkeit. Er verhehlte jedoch nicht, daß einen großen Anteil daran die Steigerung von Arbeitsbeschaffungs- und Fortbildungsmaßnahmen ausmacht. Ohne diese arbeitsmarktpolitischen Instrumente wären insgesamt 5,1 Millionen Menschen arbeitslos.

Daß die Zahl der Arbeitslosen in den neuen Ländern zum ersten Mal seit Juni 1991 unter die Millionengrenze gefallen ist, bezeichnte Jagoda als „schöne Nachricht“. Während die Arbeitsämter im Osten Ende November 980.400 Arbeitslose gezählt hatten, waren es ein Monat zuvor noch 20.500 mehr gewesen. Die aktuelle Quote für die neuen Länder beträgt damit 13 Prozent. Jagoda sprach zwar davon, daß der Tiefpunkt der Beschäftigung in den neuen Ländern inzwischen wohl überwunden sei, will aber nicht ausschließen, daß in den Wintermonaten die Millionengrenze doch wieder überschritten wird. Ein Großteil des statistischen Rückgangs der Zahl der Arbeitslosen beruht auf der Steigerung der Arbeitsbeschaffungs- und Fortbildungsmaßnahmen um 16.000 Stellen gegenüber dem Vormonat.

In den alten Bundesländern nahm die Arbeitslosenzahl gegenüber Oktober nur um 3.500 zu, weit weniger als sonst zu dieser Jahreszeit. Die Quote beträgt nach wie vor 7,9 Prozent. Jagoda kritisierte, daß die wirtschaftliche Erholung sich nur bedingt auf die Arbeitslosigkeit auswirkt, denn viele Betriebe weichen in Überstunden aus. Arbeit werde „immer stärker auf Beschäftigte konzentriert, und Arbeitslose bleiben außen vor“, betonte der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit Jagoda. Dies widerspreche dem „Sinn der sozialen Marktwirtschaft“. Außen vor bleiben nach wie vor Langzeitarbeitslose, Arbeitslose, die älter als 55 Jahre alt sind, und Schwerbehinderte.

Für 1995 erwartet BA-Chef Jagoda keinen gravierenden Rückgang der Arbeitslosigkeit. Trotz „gut spürbaren Wachstums“ werde die Arbeitslosenzahl im Jahresdurchschnitt um nicht mehr als 100.000 zurückgehen. Trotzdem hat das Bundeskabinett auf Vorschlag von Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) den Haushalt der BA für das nächste Jahr auf 100,6 Milliarden festgeschrieben. Der Bundeszuschuß soll mit 11,45 Milliarden um drei Milliarden niedriger sein, als der Verwaltungsrat der BA gefordert hatte. „Geld ist immer knapp, wir werden es so effektiv wie möglich einsetzen“, wich Jagoda bei Nachfragen über die Konsequenzen der Etatkürzung aus.

Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) und das Kanzleramt tönten gestern zufrieden, „daß die Auftriebskräfte robust sind“ und sich die Wirtschaft im „Aufwärtstrend“ befinde. Die SPD und der DGB sprachen dagegen von einem Stillstand am Arbeitsmarkt. Für Entwarnung bestehe kein Anlaß, mit Wachstum allein sei keine Vollbeschäftigung zu erreichen. Bernd Siegler