Werben für mehr direkte Demokratie

In Hannover forderte der „Alternative JuristInnentag“ freiere Debatten, Parlamentsreformen und Plebiszite / Die zum Thema geladenen Parlamentarier blieben aber zu Hause  ■ Aus Hannover Christian Rath

Ganz schön mutig: Der 4. Alternative JuristInnentag (AJT) wollte neuen Schwung in die derzeit kaum noch glimmende Debatte um Parlamentsreformen und „direkte Demokratie“ hineintragen. Und das, nachdem die alternativen ProfessorInnen, AnwältInnen und RichterInnen schon mit dem Wunsch nach einer großen Verfassungsreform aus Anlaß der Vereinigung weitgehend unter sich blieben – sieht man einmal von einigen ostdeutschen Pfarrern ab.

Ein neuer Anlauf also. „Wir wollen das klägliche Ergebnis der Verfassungskommission nicht einfach hinnehmen“, erklärte der Hannoveraner Rechtsanwalt Bertram Dörner, einer der AJT-Initiatoren. Um die unmittelbar Betroffenen zur Selbsthilfe anzustiften, waren auch alle Bundes- und Landtagsabgeordneten nach Hannover eingeladen worden, insgesamt deutlich über 2.000 Menschen. Gekommen war jedoch kaum mehr als eine Handvoll ParlamentarierInnen unterschiedlicher Couleur. Der skeptische Mitinitiator Wolfgang Wieland, bündnisgrüner Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, hatte das geahnt: „Ich dachte aus Berlin kommt außer mir eh niemand.“ Ganz recht hatte er nicht, ein PDS- Kollege war auch noch da.

Angeleitet von namhaften ProfessorInnen war man sich bald einig, daß dem Bundestag ein diskursives Facelifting recht gut tun würde: Förderung der freien Debatte, Verbesserung der parlamentarischen Regierungskontrolle, Stärkung der Oppositionsrechte, mehr Öffentlichkeit. Die rund 200 TeilnehmerInnen waren sich sogar so einig, daß man sich zum ersten Mal in der Geschichte des Alternativen JuristInnentags dazu entschloß, eine entsprechende Resolution zu verabschieden.

Ausgesprochen wohl fühlte sich in dieser Atmosphäre liberaler Großbürgerlichkeit die große alte Dame der Parlamentsreform, Hildegard Hamm-Brücher. Bewegt und bewegend schilderte sie, wie sie in den achtziger Jahren mit ihrer interfraktionellen Initiative an den Festen des verknöcherten Parlamentsbetriebs rüttelte und letztlich doch nur einige Details ändern konnte. Mut machte das ebensowenig wie die immer wieder aufkommenden Zweifel, ob denn das Geforderte dem verdrossenen Volk überhaupt gefallen würde. Auch die Medien wurden als Hemmschuh ausgemacht: Solange jede Abstimmungsniederlage der Mehrheit als Mangel an Regierungsfähigkeit präsentiert wird und jeder Kompromiß als schwächliches Zurückweichen, solange sei eine Parlamentsreform schon bei den ParlamentarierInnen nicht durchsetzbar.

Völlig verwandelt war die Stimmung am Schlußtag, als es um die Forderung nach Einführung direktdemokratischer Elemente ging. Plötzlich wurde lebhaft und emotional diskutiert. In dieser Hinsicht dürfte die bundesdeutsche Verfassungsdebatte wohl noch nicht zu Ende sein. Selbst der konservative Göttinger Staatsrechtler Christian Starck, ausdrücklich als Verteidiger des rein repräsentativen Systems eingeladen, wollte Volksentscheide nur noch auf Bundesebene ausschließen. Argumente gegen Emotionalisierbarkeit und den fraglichen Minderheitenschutz von Volksentscheiden fanden nur noch Spott. Es scheint, daß gerade die weitgehende Abschaffung des Asylrechts durch die parlamentarischen Gremien den BefürworterInnen der direkten Demokratie neue Glaubwürdigkeit verschafft hat.

Der Hannoveraner Rechtsprofessor Hans-Peter Schneider machte allerdings klar, daß es nun nicht umgekehrt darum gehe, „bessere Gesetze“ mittels der Volksgesetzgebung zu erreichen. „Entscheidend ist vielmehr der viel breitere diskursive Prozeß, das Lernen in der Auseinandersetzung.“ Kritische Fragen zu den jüngsten Schweizer und US-amerikanischen Abstimmungsergebnissen im Bereich des AusländerInnenrechts blieben völlig aus. Der als authentischer Befürworter der direkten Demokratie geladene Verfassungsrechtler Jörg Paul Müller hatte denn auch leichtes Spiel in der Versammlung.