Im Wettlauf mit den Baggern der Bauherren

■ Archäologisches Landesamt klagt über die Zerstörung historischer Überreste

Die historischen Spuren, die Professor Wilfried Menghin unter den Betondecken der städtischen „Keimzelle“ vermutet, stammen mitunter aus dem tiefsten Mittelalter: Im Untergrund des kürzlich in Schloßplatz umgetauften Marx- Engels-Platzes, sagt der Leiter des Archäologischen Landesamtes, schlummerten zum Beispiel neben Fundamentresten des Schlosses die Grundmauern des 1297 erbauten Dominikanerklosters.

Südlich des Palastes der Republik wiederum seien Überreste der Cöllner Stadtmauer und des Cöllner Rathauses aus dem 13. Jahrhundert freizulegen. Ebenfalls mittelalterliche Bebauung warte hinter dem früheren DDR-Staatsratsgebäude auf seine Ausgrabung: allesamt „Bodenschätze“, mit denen nach den Worten des obersten Berliner Bodendenkmalpflegers „letzte Geheimnisse der frühen Stadtgeschichte“ gelüftet werden könnten.

Es gibt genug zu tun für die hauptstädtischen Archäologen, doch sie können es nicht anpacken. Insgesamt neun Fundstellen hat das Landesamt allein in Mitte in einem kürzlich erstellten Gutachten verortet – Kulturdenkmäler, die es zu erhalten oder zumindest zu dokumentieren gelte, sagt Menghin. Doch während die Bagger und Preßlufthämmer der Investoren unter zum Teil enormem Termindruck den halben Bezirk umgraben, taten die amtlichen Spurensucher dort bisher kaum einen Spatenstich – aus Geldmangel.

„Das Amt“, das auf solche Untersuchungen weder finanziell noch personell eingerichtet sei, „ist in einem Almosensystem gefangen“, klagt Reiner Güntzer, Leiter des Museumsreferats in der Senatskulturverwaltung. Nicht einmal die 42.000 Mark, die eine geo- und elektromagnetische Untersuchung des Schloßplatzes kosten würde, saßen drin. „Eine Schreckensnummer“, meint Reiner Güntzer.

Von wegen „Lustgrabungen“ – den Archäologen bleiben im künftigen Regierungsreservat nur die wegen des Baubooms immer häufiger werdenden „Notgrabungen“: Mit Schaufel und Pinsel rücken sie erst aus, wenn Bauarbeiter im märkischen Sand auf Hinterlassenschaften der Urahnen Berlins gestoßen sind – und das dann auch melden.

„Das Amt muß den Baustellen hinterherhetzen“, sagt Güntzer: „Wir brauchen in Berlin und Bonn dringend eine politische Entscheidung, die archäologische Untersuchungen vor dem Baubeginn vorschreibt.“ Über den Daumen gepeilt, koste das an den entscheidenden Punkten weniger als fünf Millionen Mark. Doch die Aussichten auf eine solche öffentliche Finanzspritze sind schlecht.

Dabei könnte es so einfach sein – wie jüngst am ehemaligen Checkpoint Charlie: Dort ließen die Investoren des American Business Center erst einmal das Landesamt ran, ehe sie ihre Bagger in Marsch setzten. So konnten Mitarbeiter Menghins Überreste der Bethlehemkirche freilegen und dokumentieren. Ein bisher einmaliger Fall, obwohl doch Menghin oft genug zu beschwören wußte: „Wir sind keine Bauverhinderungsinstitution.“

Kenner wundert das kaum: Angesichts der 150 Großbaustellen in Mitte sei die Archäologie für die Bauherren nicht mehr als ein „Orchideen-Thema“, meint ein Insider der Branche. Im Prinzip bleibe den Archäologen nichts anderes übrig, als die Bauherren „an ihrer Eitelkeit zu packen“: „Sie müssen den Bauherren klarmachen, daß sie hier die Chance haben, sich als verantwortungsbewußte und kulturinteressierte Buddler profilieren zu können.“ Frank Kempe