Chlorchemie-Lobby verzögert mit Erfolg

Im neuen Jahr dürfen bei öffentlich finanzierten Modernisierungen keine PVC-Fenster mehr eingebaut werden / Beim Verbot für Neubauten kneift Nagel noch / Greenpeace: Falsches Signal  ■ Von Christian Arns

Wer nächstes Jahr ein Haus modernisiert oder instand setzt und dafür Geld vom Land bekommt, darf keine PVC-Fenster oder -Türen mehr einbauen. Ausnahmen wird es nur geben, wenn aus „konstruktiven“ Gründen keine Alternative zur Verfügung steht. Die von Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) erlassene Richtlinie zur Förderung von Modernisierungen und Instandsetzungen verdrängt PVC auf diese Weise ein weiteres Stück aus dem öffentlichen und öffentlich geförderten Wohnungsbau. Als Fußbodenbelag, Tapete oder Kleinbauteil im Innenraum darf der Kunststoff, bei dessen Herstellung hochgiftige und krebserzeugende Zwischenprodukte entstehen, dort schon seit 1990 nicht mehr benutzt werden.

Das langfristige Ziel sei der vollständige Ausstieg aus der Chlorchemie, so Holger Rogall, umweltpolitischer Sprecher der SPD- Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Der nächste Schritt auf diesem Weg wird jedoch voraussichtlich erst zum Jahresbeginn 1997 gewagt: Dann sollen, wo immer das Land Berlin finanziell beteiligt ist, die PVC-Profile auch in Neubauten verboten werden. Dieses Verbot war eigentlich schon für den 1. Januar nächsten Jahres geplant. Doch Nagel schiebt ihn, so die Erwartung innerhalb der SPD und der Bauverwaltung, jetzt hinaus. „Vorher sind die Kontrollmechanismen gar nicht vorhanden“, begründet Peter Foerster-Baldenius, der in Nagels Verwaltung für ökologischen Städtebau zuständig ist.

Carsten Körnig von Greenpeace glaubt dagegen, daß der Bausenator schlicht kalte Füße bekommen habe: In massiver Lobbyarbeit hatte die chlorchemische Industrie seit Jahresmitte Politiker, Verbände und Medien mit Werbetexten zugeschaufelt und zu „Informationsreisen“ eingeladen, da der Berliner Entscheidung eine bundesweite Signalwirkung zugesprochen wird. Diese Kampagne zeigte in der öffentlichen Diskussion Wirkung, die die übrigen Sozialdemokraten zu spüren bekamen. Nagel, der für seine Richtlinie eigentlich weder die Zustimmung des Parlaments noch seiner Partei braucht, holte sich daher Rückendeckung bei seiner Fraktion. Anfang November einigte sich diese auf den Kompromiß, einen Termin beizubehalten, einen zu verschieben. „Das war keineswegs einfach“, so PVC-Gegner Rogall zur taz: Viele Sozialdemokraten hätten mit der Berliner Bauindustrie zu tun, „und PVC-Fenster sind halt billiger“.

Carsten Körnig kritisiert „den faulen Kompromiß“: Nicht das Verbot, das bereits mit Beginn des nächsten Jahres in Kraft tritt, werde Signalwirkung haben, sondern die Verschiebung des anderen Teils: „Berlin verabschiedet sich von seiner Vorreiterrolle im ökologischen Bauen.“

Damit wäre erreicht, was die FDP anstrebt: Denn die will mit einem Antrag an das Abgeordnetenhaus sämtliche gültigen und geplanten PVC-Verbote in den Richtlinien ächten lassen, um den Senator zusätzlich unter Druck zu setzen. Die Liberalen nämlich, allen voran Fraktions-Vize Gerhard Schiela, sehen die Demokratie gefährdet, wenn ein Baustoff „diskriminiert“ wird. Für diese verwegene These findet Schiela bei vielen Rückhalt, die wie er aus den neuen Ländern stammen, was den Antrag zu einem Ost-West-Streitpunkt macht. „Wie soll man unseren Leuten im Osten den Glauben in die Demokratie lassen, wenn sie sich ihre Baustoffe nicht selber aussuchen dürfen?“ fragte Waldemar Bahr von der IG Chemie, Papier, Keramik im September bei einer SPD-Fachanhörung zu PVC – und erhielt dafür Beifall der Ost- Sozialdemokratin Utta Stötzer.

„PVC ist kein Baustoff, das ist ein Umweltgift“, hält Greenpeace- Sprecher Carsten Körnig entschieden dagegen: „Wenn wir uns noch länger daran festkrallen, schränken wir die Handlungsmöglichkeiten späterer Generationen massiv ein. Das ist undemokratisch.“ Da gibt ihm Foerster-Baldenius recht: „PVC ist ein Material, das wir nie wieder loswerden, wenn wir es einmal auf der Welt haben.“