Das eigene Leben neu in den Griff kriegen

In der Weddinger Pankstraße bietet ein neues Wohnprojekt HIV-Infizierten und Aids-Kranken ein Zuhause „Viele kommen direkt von der Straße, aus dem Knast oder aus dem Krankenhaus“  ■ Von Jeannette Goddar

Am Vormittag ist es ruhig im Hinterhaus der Weddinger Pankstraße 77. Dann sind die meisten BewohnerInnen unterwegs, um ihre tägliche Dosis Polamidon abzuholen. Erst ab mittags kommt Leben in die Räume des neu renovierten Hauses, in dem seit 1. September sechzehn HIV-positive Männer und Frauen untergebracht sind, von denen die meisten eine Drogenkarriere durchlaufen haben.

Das Haus in der Pankstraße, das „Zuhause im Kiez“ (zik) als erstes seiner Art in Deutschland eingerichtet hat, versteht sich als Übergangseinrichtung für Menschen mit HI-Virus und Aids. Heute wird Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) es offiziell eröffnen. Von hier aus sollen Menschen, die keine feste Wohnung (mehr) haben, weitervermittelt werden.

Dabei sollen sie nicht ghettoisiert werden, betonen die Betreiber: Vier von zehn Wohnungen im Haus werden von „ganz normalen“ Familien mit insgesamt fünf kleinen Kindern und drei Jugendlichen bewohnt, die das Bezirksamt Wedding zugeteilt hat.

„Alle sind vorher gefragt worden, ob sie mit HIV-Positiven zusammen wohnen wollen, erzählt die Leiterin des Projekts, Kristine Leicht. Einige hätten tatsächlich zurückgezogen, mit der jetzigen Konstellation habe es allerdings noch keinen Ärger gegeben. Sicher hat auch der Preis gelockt: Bei einer Miete von 4,80 Mark pro Quadratmeter sind die Wohnungen mit Zentralheizung und Balkon sagenhaft billig. Für die meisten zik-Klienten ist es gleichzeitig das erste Dach über dem Kopf seit langem.

„Die meisten, die hier wohnen, kommen entweder direkt von der Straße, aus dem Knast oder aus dem Krankenhaus“, erzählt Leicht. Einige sind durch einen klassischen „Abstieg durch Aids“ wohnungslos geworden, haben wegen ihrer Infektion ihren Job verloren und konnten irgendwann ihre Miete nicht mehr zahlen. Andere haben sich als Junkies bereits über Jahre auf der Straße oder in Läusepensionen herumgeschlagen und sind gerade mal mit zwei Plastiktüten unter dem Arm in die komplett ausgestatteten Wohnungen eingezogen.

Neuer Beginn

Für im Durchschnitt ein halbes Jahr ist ihre Existenz damit gesichert: In den geräumigen rollstuhlfahrerfreundlichen Wohnungen, die von jeweils drei Leuten bewohnt werden, fehlen weder Waschmaschine noch Trockner, die Küche ist bis hin zum Wasserkocher perfekt ausgestattet. Projektleiterin Kristine Leicht und vier Sozialarbeiter versuchen von hier aus, für ihr Klientel eine dauerhafte Lösung zu finden: „Viele müssen erst mal ihre rechtlichen Sachen klären“, erklärt Leicht. „Sozialhilfe, WBS, Papiere organisieren, Substitution und so weiter.“ In der Zeit in der Pankstraße soll eine „Verselbständigung“ stattfinden, die die HIV-Positiven, von denen einige bereits an Aids erkrankt sind, in die Lage versetzt, wieder in einer eigenen Wohnung zu leben.

Bei den meisten heißt das vor allem, ihre Sucht soweit in den Griff zu bekommen, daß sie ein stabiles Leben führen können. Einen Abstinenzanspruch haben die Mitarbeiter von zik allerdings nicht. Nach Ablauf der sechs Monate, aus denen in Einzelfällen auch ein Jahr werden kann, sollen die Bewohner nicht nur in eine eigene Wohnung, sondern auch an weiterführende Betreuung der Aids- oder Drogenhilfe vermittelt werden. Wohnungen für HIV-Positive zu organisieren, bemüht sich bereits seit Jahren die Kreuzberger zik-Geschäftsstelle.

Etwa 300 stehen hier auf der Warteliste. Zehn bis 20 monatlich können im Durchschnitt vermittelt werden. Die zik-Mitarbeiter stehen in engem Kontakt zu Wohnungsbaugesellschaften und versuchen, Zweizimmerwohnungen für WBS-Besitzer zu ergattern. Das zweite Zimmer muß für die möglicherweise anfallende intensive Pflege sein. Als Gegenleistung bietet zik den Gesellschaften an, die Wohnungen selber zu renovieren. In den meisten Fällen bekommen die Bewohner, die zik vermittelt, einen eigenen Mietvertrag. 65 Wohnungen hat zik allerdings inzwischen auch selber angemietet und untervermietet.

Mit den 19 Plätzen in der Pankstraße ist zik immerhin ein weiterer Tropfen auf den heißen Stein gelungen. Denn insgesamt ist die Wohnungssituation für Menschen mit HIV und Aids nach wie vor desolat. Kristine Leicht wünscht sich vor allem einen Ausbau von Wohngemeinschaften. Neben dem Wohnraum sei aber auch die Betreuung oft ein Problem. „Spätestens wenn der erste krank wird, brauchen die anderen eine regelmäßige Betreuung.“