Norwegen trollt sich vor der Europäischen Union

■ NorwegerInnen sagen nein zu Brüssel, aber Brüssel wirbt weiter: Das Land ist so reich

Oslo (taz) – Die NorwegerInnen haben sich mal wieder als erstaunlich resistent gegen vermeintliche und selbsternannte Autoritäten erwiesen. Mit 52,2 Prozent stimmten sie gegen den Beitritt ihres Landes zur Europäischen Union und damit gegen ihre Regierung und die großen Parteien, die den Volkswillen schon kannten, als sie in Brüssel die Beitrittsverhandlungen führten. Offenbar unter dem Motto „Wir werden sie schon breitklopfen“ machte man den gleichen Fehler wie vor 22 Jahren. Auch damals ging es um den Beitritt in die damalige EWG, die Mehrheit war etwa die gleiche.

„Es waren die Menschen, die diese Entscheidung getroffen haben, und wir als Land müssen damit leben“, sagte Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland, die bis zuletzt unermüdlich um jede Jastimme gekämpft hatte. Sie gestand gestern morgen ihre Niederlage ein, allerdings hatte sie schon vor der Abstimmung klargestellt, daß sie bei einem Nein nicht zurücktreten werde. Ob das ihr letztes Wort ist, bleibt abzuwarten. In Oslo wird von einer Regierungsumbildung gemunkelt. Brundtland selbst dürfte bei den NorwegerInnen trotz der Niederlage, die sie ihr erteilt haben, populär bleiben.

Die Europäische Union artikulierte gestern ein etwas formell klingendes Bedauern. Vor dem Votum hatten die EU-Unterhändler noch versichert, daß es keine Wiederaufnahme der Verhandlungen geben würde, falls die NorwegerInnen mit Nein stimmten. Noch gestern morgen schloß der Präsident des Europäischen Parlaments, Klaus Hänsch, Neuverhandlungen aus. Die Entscheidung sei endgültig. Für den Ausgang der Volksabstimmung machte er eine „Desinformationskampagne“ verantwortlich.

Ganz anders klang das schon beim EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors und bei Helmut Kohl. Delors betonte, daß man die Tür zur EU für Norwegen offen halten wolle. Kohl schrieb in einer Erklärung, die Bundesregierung sei immer der Auffassung gewesen, daß der Beitritt Oslos zur EU ein Gewinn für alle Beteiligten gewesen wäre. „Ich will mich auf jeden Fall dafür einsetzen, Norwegen auch künftig den Weg in die Union freizuhalten.“ Als Hintergrund für diese wenig nachtragende Haltung gilt der Reichtum des Landes – Norwegen wäre eines der wenigen „Geberländer“ in der erweiterten EU gewesen. Reinhard Wolff

Tagesthema Seite 3