Gutachterstreit über Brandverlauf

Im Prozeß um den Brandanschlag von Solingen drehte sich gestern alles um den Brandlegungszeitpunkt / Aussagen von Zeugen und Brandsachverständigen passen nicht zusammen  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Nein, so wie die Bundesanwaltschaft behauptet, kann das Haus der Familie Genç nicht von den vier in Düsseldorf angeklagten jungen Männern in Brand gesetzt worden sein. Da war sich der von der Verteidigung benannte Brandsachverständige Professor Ernst Achilles gestern vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht sicher. Mit dem in der Anklage zugrunde gelegten Zeitrahmen sei der Brandverlauf „nicht in Einklang zu bringen“. Um 1.38 Uhr sollen die vier Angeklagten in der Nacht zum Pfingstsamstag im letzten Jahr das Feuer im Windfang des Hauses in der Unteren Wernerstraße gelegt haben. Um 1.42 Uhr ging der erste Notruf bei der Feuerwehr ein. Fünf Minuten später traf die Feuerwehr ein. Da brannte das Haus nach Aussagen mehrerer Feuerwehrleute schon lichterloh, schlugen vereinzelte Flammen aus dem Dachstuhl.

Der Sachverständige Achilles räumte gestern zwar ein, daß man Brände „kaum vergleichen“ könne, aber der behauptete Brandverlauf in Solingen widerspreche „allen praktischen Erfahrungen und Brandversuchen“. Leise Zweifel lassen sich indes auch aus den Worten dieses Sachverständigen heraushören. Mal spricht er davon, der unterstellte Brandverlauf sei „ausgeschlossen“, dann hält er ihn nur noch für „unwahrscheinlich“.

Folgt man Achilles, dann muß der Brand spätestens um 1.22 Uhr gelegt worden sein. Träfe diese Zeitangabe zu, bräche das gesamte Anklagegebäude zusammen, weil drei der vier Angeklagten zu diesem Zeitpunkt kaum am Tatort gewesen sein können. Auch Markus Garthmann nicht, der als einziger den mörderischen Brandanschlag gestanden hat.

Belastet Garthmann sich selbst und seine drei Mitangeklagten also falsch? Während der Gutachter Achilles eine solche Wertung nahelegt, stützen die anderen Brandgutachter und mehrere Zeugenaussagen von Anwohnern eher die Version der Karlsruher Ankläger. Mindestens zwei Zeugen, die in der fraglichen Nacht um 1.30 Uhr das Haus der Familie Genç passierten, haben bekundet, daß zu diesem Zeitpunkt noch kein Feuer zu sehen war. Demnach müßte das Feuer später gelegt worden sein. Ob dazu ein Brandbeschleuniger benutzt worden ist, konnten die Sachverständigen nicht zweifelsfrei belegen. Das Brandspurenbild und der Brandverlauf legen den Einsatz von Benzin oder Brennspiritus nach Aussagen von Peter van Bebber, Brandsachverständiger des Bundeskriminalamtes (BKA) aber nahe.

Scharf ging van Bebber mit Achilles ins Gericht. Für den von dem Sachverständigen immer wieder angesprochenen Schwelbrand gebe es „keinerlei Anhaltspunkte“. Der BKA-Experte hält es „für durchaus möglich“, daß das Treppenhaus des Genç-Hauses in nur zehn Minuten in Brand geraten ist. Bei Redaktionsschluß hielt die Befragung der Gutachter noch an. Die Hoffnung der Verteidigung, durch ihren Sachverständigen quasi den „naturwissenschaftlichen Beweis“ für die Unschuld ihrer Mandanten erbringen zu können, ging gestern jedenfalls nicht auf. Eine Wende im Prozeß brachte der Gutachterstreit nicht. Das „große Problem“, so Gerichtsvorsitzende Wolfgang Steffen über den Brandlegungszeitraum, haben die Sachverständigen dem Gericht nicht abgenommen, allenfalls haben sie ein bißchen eingegriffen.