■ Claudia Nolte und Rita Süssmuth im Vergleich
: Kein schlichter Rollback

Mit der Nominierung Claudia Noltes als Ministerin für Frauen, Jugend, Familie und Senioren gelang Helmut Kohl dieser Tage ein ähnlicher Überraschungscoup wie weiland 1985, als er die damals politisch gänzlich unbekannte Rita Süssmuth als Nachfolgerin des exponierten Heiner Geißler ins Ministeramt hievte. Sowohl die Scharfmacher in den eigenen Reihen als auch die damals noch relativ homogene Frauenbewegung schluckten die „Beruhigungspille“ Süssmuth zunächst ohne größere Magenbeschwerden: die einen hielten sie für ein Leichtgewicht, die anderen für eine leicht zu enttarnende Mogelpackung. Wie wir heute wissen, hat sich das pflegeleichte Kabinettsmitglied ziemlich schnell als profilierungsfähig und nur im Sonderwaschgang behandelbare Politikerin erwiesen, die nicht nur in Abtreibungssachen den „dritten Weg“ in die umfassende Beratungsgesellschaft vorbereitete.

Bekanntlich trug ihr das ein Image ein, in dem sich Häresie und Krankenschwesternmentalität mischten, lange galt sie als „Clementine“ der skandalgebeutelten Republik. Während der Unions-Geifer Süssmuth schließlich ins politische Abseits bannte, machten sich – mit durchaus guten Gründen – die radikaleren Frauen daran, die anti-emanzipatorische Rolle Süssmuthscher Befriedungspolitik zu entlarven. Daß diese ihre „objektive“ Funktion um so besser „erfüllte“, als sie sie mit ihrer Persönlichkeit ausfüllte, entging damals den Streitschriften des reinen Feminismus.

Angesichts der veränderten politischen Lage im Land mag das Urteil über die heutige Bundestagspräsidentin mittlerweile milder ausfallen. Verblüffend ist jedoch, daß die Kommentare zur Nominierung einer ihrer Nachfolgerinnen erstaunliche Ähnlichkeiten aufweisen mit den längst vergessenen über Süssmuth. Da ist von einem „Gefäß“ oder „Symbol“ für die Kohlsche Politik die Rede, von „Erfüllungsgehilfin“ u.ä. Davon abgesehen, daß derartige „Entzauberungen“ den Zauber der Kohlschen Machtarroganz eher zu stärken denn zu demontieren scheinen, geht auch die dabei unterstellte Diagnose an den Realitäten vorbei. Denn Nolte wird sowenig das schlichte Rollback in die familienpolitische Steinzeit organisieren wie die frühneuzeitliche Hexenjagd auf abtreibungswillige Frauen, auch wenn das so aussehen mag. Wer nicht versteht, daß die Sicherheit der traditionellen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern – mit den Wehen des Übergangs, wohlgemerkt – abgelöst wird von einer modernisierten Form umfassend ungesicherter Existenz (nicht nur, aber vor allem der Frauen), wird die künftige Politik aus dem Ministerium Nolte nicht beurteilen können. Daß aus Claudia Nolte eine zweite Rita Süssmuth wird, mag man getrost bezweifeln. Sie nur als Kohlsche „Manövriermasse“ zu unterschätzen wäre fatal und bediente höchstens längst erledigte Opfertheorien. Ulrike Baureithel

Publizistin in Berlin; siehe auch Mechtild Jansens Kommentar v. 19.11.