Warten auf ein Wunder – vergebens

■ Die israelische Regierung will sich nicht in die „inneren Angelegenheiten" der Palästinenser einmischen / Arafat in der Klemme zwischen Hamas und Rabin

Das brutale Vorgehen der palästinensischen Polizei im Gaza- Streifen gegen vornehmlich islamistische Demonstranten wird von vielen Israelis durchaus positiv gewertet. Sie sehen darin ein willkommenes Zeichen für die Forderung der eigenen Regierung, PLO- Chef Jassir Arafat solle endlich hart gegen die radikale islamistische Opposition vorgehen. Organisationen wie Hamas oder der Islamische Heilige Krieg gelten als die Hauptgegner Israels. Ministerpräsident Jitzhak Rabin hat ihnen die weltweite Bekämpfung mit allen Mitteln angekündigt. Mit offiziellen Äußerungen hält sich die israelische Regierung einstweilen zurück. Sie will sich „im gegenwärtigen Stadium nicht in die inneren Angelegenheit der Palästinenser einmischen“. Aber der Umgang mit der neuen Entwicklung in Gaza (und am Westufer) wird morgen fraglos im Mittelpunkt der Unterredung zwischen US-Präsident Bill Clinton und Rabin im Weißen Haus stehen.

Unter den Palästinensern, die in Israel leben, nehmen die Führer aller Parteien an den intensiven Vermittlungsbemühungen in Gaza teil. Diese Gespräche hatten am Freitag, unmittelbar nach den Zusammenstößen vor der Falastin- Moschee, unter dem persönlichen Einsatz von Haider Abdel Schafi begonnen. Allen gemeinsam ist der Wunsch, Konstellationen zu vermeiden, die Israel gegen palästinensische Interessen ausnützen könnte. Arafat und seine herrschende Al Fatah werden jetzt vorausichtlich genötigt sein, Konzessionen zugunsten von Hamas zu machen, die aus den letzten Ereignissen gestärkt hervorgegangen ist. Ihre Anhänger werden heute auf etwa vierzig Prozent geschätzt. Auch Israel wird sich gezwungen sehen, den neuen Spielregeln Rechnung zu tragen und zu vermeiden, daß die Friedensdividende, die Israel seit den Abkommen mit der PLO eingestrichen hat, verloren geht.

Zu der Stärkung von Hamas hat die Politik von Arafat, der Chef der palästinensischen Regierungsbehörde in den Autonomiegebieten ist, erheblich beigetragen. Die von Fatah-Mitgiedern geleiteten Sicherheitsorgane hatten nach Angriffen radikaler Islamisten auf israelische Siedler und Besatzungstruppen im Gaza-Streifen wiederholt Massenverhaftungen unter Oppositionellen durchgeführt. Deren Vorwürfe, Arafats Regime sei zu einem Instrument Rabins und damit völlig unglaubwürdig geworden, fielen auf fruchtbaren Boden.

Hinzu kommt, daß Rabin selbst ständig von Arafat schärfere Maßnahmen zur Unterdrückung der islamistischen Opposition verlangt. Damit soll nach israelischer Lesart die Macht Arafats in den besetzten Gebieten gefestigt werden, um nach außen hin Stabilität zu demonstrieren, damit die versprochenen Gelder und Investitionen nach Gaza fließen. Außerdem soll die palästinensische Führung durch die „Bekämpfung arabischer Terroristen“ zur Sicherheit Israels beitragen.

Selbst in Kreisen von Arafats Al Fatah breitet sich Unzufriedenheit mit den Resultaten der Politik ihres Chefs aus. Immer öfter wird auf die fatalen Folgen der Asymmetrie bei den Verhandlungen mit Israel und auf die nun deutlich zutage tretende Vernachlässigung entscheidender palästinensischer Interessen in den von Arafat abgeschlossenen Verträgen hingewiesen. Dabei, so heißt es, ist Israel nicht bereit, gerade die für Palästinenser entscheidenden Teile der sonst so ungünstigen Abkommen zu erfüllen, wie etwa die Übergabe der Westbank an die Palästinenser oder die Abhaltung von Wahlen. Rabins Tendenz, die Autonomie weiterhin nur auf Teile des winzigen Gaza-Streifens und der Westbank-Enklave Jericho zu beschränken – dies umfaßt ganze sechs Prozent der von den Palästinensern reklamierten Gebiete – wird von den Palästinensern als Torpedierung des Friedensprozesses angesehen.

Verzweiflung breitet sich aber auch wegen der katastrophalen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage aus. Nach Angaben des israelischen Generals Danny Rothschild hat sich seit der Unterzeichnung des Osloer Abkommens im Herbst 93 der Lebensstandard der Palästinenser um weitere 25 Prozent verschlechtert. Weit über die Hälfte der Bevölkerung im Gaza- Streifen ist arbeitslos. Dazu trägt auch die israelische Politik der Abriegelung bei, die nur einen Bruchteil der insgesamt 130.000 palästinensischen Taglöhner aus Gaza und dem Westufer, die früher ihr Brot in Israel verdient haben, über die Grenze läßt.

In einem Interview mit der israelischen Tageszeitung Yediot Ahronot erklärte der sonst so zuversichtliche Arafat-Berater und Verhandlungsleiter Nabil Shaath vor ein paar Tagen: „Wenn kein Wunder geschieht, muß das Abkommen zwischen uns und Israel zusammenbrechen. Wir können nicht mit der Wirtschaftsblockade existieren, die Rabin als brutale Kollektivstrafe gegen uns verhängt. Wie kann ich den verbitterten Bewohnern Gazas ein besseres Leben versprechen? Wie kann ich garantieren, daß sie nicht ins Lager unserer Gegner übergehen? Und unter solchen Umständen verlangt Israel von uns, daß wir (die palästinensische Regierung, d. Red.) einen Bürgerkrieg (gegen die Opposition, d. Red.) führen!“

Es wäre schon ein Wunder gewesen, wenn es unter solchen Umständen zu keiner Explosion in Gaza gekommen wäre. Amos Wollin, Tel Aviv