Verfassungswidrig und totalitär

Datenschutzbeauftragte protestieren gegen das neue Ausländerzentralregistergesetz / Frankfurts grüner Multikulti-Stadtrat Daniel Cohn-Bendit kündigt zivilen Ungehorsam an  ■ Von Franco Foraci

Frankfurt am Main (taz) – Für den pragmatischen Grünen Daniel Cohn-Bendit gibt es diesmal nur die radikale Verweigerung. „Wir verlieren unsere Glaubwürdigkeit als Beratungs- und Vermittlungsinstanz“, so der Frankfurter Multikulti-Stadtrat, „wenn wir das tun, was uns das anmaßende Ausländerzentralregistergesetz abverlangt.“ Er wolle den „staatlich und nun auch parlamentarisch sanktionierten Datenmißbrauch“ bei den MigrantInnen nicht mitmachen und sei nötigenfalls bereit, es bei dieser Frage „zum Äußersten kommen zu lassen“.

Seinen etwa 20 MitarbeiterInnen im Amt für multikulturelle Angelegenheiten – mehrheitlich MigrantInnen – habe er zivilen Ungehorsam empfohlen. „Von uns hat und wird das Bundesverwaltungsamt nie etwas erfahren! Komme, was wolle.“ Einer möglichen Anklage sehe er „mit sehr viel Gelassenheit“ entgegen.

Auch der Geschäftsführer der Frankfurter „Kommunalen Ausländervertretung“, dem örtlichen Ausländerbeirat, will sich einem abzusehenden Zwang staatlicher Stellen widersetzen, persönliche Daten von MigrantInnen preiszugeben. Bahman Nirumand meint, „wir sind zwar (machtloser) Teil der Verwaltung, aber wir müssen uns nicht alles gefallen lassen“. Er nehme lieber persönliche Konsequenzen in Kauf, als zum Verräter in den eigenen Reihen zu werden: „Und wenn der Preis der Verlust meines Arbeitsplatzes ist.“

Grund der Aufregung: Bisher mußten laut Artikel 76 des Ausländergesetzes bundesdeutsche Institutionen lediglich auf Anfrage und nur an Ausländerbehörden Auskunft über MigrantInnen-Daten erteilen. Das Amt für Multikulturelles hatte in einer stillen Vereinbarung mit den städtischen Ordnungsämtern und dem Magistrat vor vier Jahren erwirkt, daß es von dieser Regelung verschont bleibt. Seit Inkrafttreten des Ausländerzentralregistergesetzes (AZRG) am 1. Oktober aber sind alle bundesdeutschen Ämter verpflichtet, persönliche Daten von MigrantInnen oder Flüchtlingen von sich aus unverzüglich und detailliert an das beim Kölner Bundesverwaltungsamt angesiedelte Ausländerzentralregister weiterzuleiten. Und auf diesen Datenpool hat nahezu jede Behörde Zugriff, zum Teil sogar im Direktverfahren per Computer. Informationen erhalten sowohl Standes- und Sozialämter, Polizeireviere und Wohnungsämter als auch Verfassungsschutz und Militärischer Abschirmdienst. Das Zentralregister macht beispielsweise „Gruppenauskünfte“ nach ethnischen Merkmalen möglich und läßt polizeiliche Beobachtung faktisch zur Regel werden, da jeder Kontakt eines Betroffenen mit irgendeiner Behörde nachvollzogen werden kann.

Mit den Stimmen von Koalition und SPD war das Registergesetz im Bundestag beschlossen worden. Nach Meinung des schleswig-holsteinischen Datenschutzbeauftragten Helmut Bäumler wurde hier ein „Bündel weitgefaßter Ermächtigungsnormen für die Verwaltung“ zusammengefügt, das nicht nur das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einer ganzen Bevölkerungsgruppe aushöhle, sondern ein Kommunikations- und Überwachungssystem gesetzlich legitimiere, „das totalitäre Züge trägt“. Bäumlers Fazit: „Das AZRG ist verfassungswidrig.“

Auch Winfried Hassemer, hessischer Datenschutzbeauftragter, glaubt nicht, daß das Gesetz verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten würde. Nur, um diese beim Bundesverfassungsgericht anzustrengen, bedürfe es einer konkreten Beschwerde von MigrantInnen. Und die gibt es bislang nicht. Nichtdeutsche, mit deren persönlichen Daten „nachweisbar Schindluder“ getrieben wurde, fordert er auf, sich bei den Datenschutzbeauftragten zu melden.

Sollte sich an einem exemplarischen Fall das Gesetz juristisch angehen lassen, haben die Stadt Frankfurt über Daniel Cohn-Bendits Behörde und die Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte Hessen gegenüber der taz angekündigt, die Betroffenen auf dem Instanzenweg ideell und finanziell zu unterstützen. Die Geschäftsstellen der hessischen Ausländerbeiräte waren als einzige bisher durch einen Erlaß des hessischen Innenministeriums ausdrücklich von einer Auskunftspflicht über AusländerInnen-Daten ausgenommen worden.

Ob die Verfügung aber auf dieses Gesetz übertragen werden kann, ist fraglich. Sollten alle Stricke reißen, hofft Cohn-Bendit auf die Hilfe der Grünen-Bundestagsfraktion. Die könnte in Karlsruhe eine Organklage einreichen.