Wieder ein Toter in der Ustica-Ramstein-Affäre

■ Experten: Angeblich brachte Bombe 1980 die DC9 bei Ustica zum Absturz

Rom (taz) – Schon im Juni, als Untersuchungsrichter Rosario Priore das 800-Seiten-Werk in den Händen hielt, kam ihm das Grausen: Was ihm die zehnköpfige Expertenkommission über die Ursache des Absturzes einer DC9-Passagiermaschine 1980 in der Nähe der Mittelmeerinsel Ustica (81 Tote) aufgeschrieben hatte, war „schon prima vista so widersprüchlich, oberflächlich und unwissenschaftlich“, daß der Chefaufklärer gleich mal seine hauseigenen Fachleute daransetzte. Am Dienstag hat er nun die wackeren Experten der Kommission zusammengetrommelt und ihnen den Marsch geblasen. Beschleunigender Anlaß war dabei auch, daß sich in diesem Umfeld vorige Woche erneut ein merkwürdiger Todesfall ereignet hat – und der weist wieder einmal auf den Zusammenstoß der Kunstflugstaffel „Frecce tricolore“ über Ramstein 1988, bei dem drei Piloten und 67 Zuschauer umkamen.

Der Absturz der italienischen Itavia-Linienmaschine über Ustica soll nach Ansicht der von Priore berufenen Fachleute von einer Bombe in der hinteren Bordtoilette verursacht worden sein – nicht, wie in den letzten Jahren ausnahmslos alle anderen Experten festgestellt hatten, durch eine Rakete, die möglicherweise versehentlich während eines Nato-Manövers oder im Zuge einer Abfangaktion eines unbekannten Flugzeuges abgefeuert worden sein könnte.

Die Bombenthese jedoch ist nicht mit der Einschlagseite der Kabinensplitter in andere Gegenstände vereinbar; ungeklärt auch, wieso bei den Bergungsarbeiten just jene Teile „vergessen“ wurden, in die die Rakete eingeschlagen sein müßte; Spuren am Meeresboden zeigen, daß da jemand wohl schon vorher einiges „gehoben“ hatte. Priore möchte nun herausbringen, ob die Oberflächlichkeit der Experten auf Dummheit beruht – oder ob hier ein weiteres Mal vertuscht wurde, wie schon all die Jahre zuvor.

In diesem Zusammenhang beunruhigen den Untersuchungsrichter immer wieder die zahlreichen Todesfälle im Umfeld möglicher Zeugen. Ein volles Dutzend Personen, die Wissen über die Zusammenhänge hatten, kamen bei niemals aufgeklärten Unfällen, durch merkwürdige Krankheiten oder auch durch Selbstmord ums Leben – wie nun auch der ehemalige Mannschaftsarzt der „Frecce tricolore“, Gian Paolo Totaro.

Totaro war einer der engsten Freunde des Staffelführers Naldini und des Solopiloten Nutarelli gewesen, die beide bei dem Zusammenstoß über Ramstein umkamen. Beide waren unmittelbar vor dem Absturz der DC9 im selben Luftraum geflogen, im Zuge einer Abfangaktion – und das war nur wenige Tage vor dem Ramstein- Desaster 1988 herausgekommen, aber nicht öffentlich bekanntgegeben worden. Die beiden sollten unmittelbar nach ihrer Heimkehr aus Ramstein verhört werden – danach verschwand die Vorladung auf ungeklärte Weise aus den Akten. Priore, der 1990 an den Fall kam, fand die Flugprotokolle erst sehr viel später zufällig wieder.

Die Untersuchung des „Frecce- tricolore“-Zusammenstoßes wurde seinerzeit gemäß Nato-Statut von den italienischen Behörden an sich gezogen und ausschließlich vom Militär durchgeführt – eine wirkliche strafrechtliche Würdigung unterblieb mit der abstrusen Begründung, der Solopilot, der in die Staffel gerast war, sei tot und gegen Tote könne man nicht ermitteln. So blieb es bei der offiziellen These eines „Pilotenfehlers“ – was alle Staffelkameraden und Freunde des erfahrenen Nutarelli seit je heftig bestreiten – und was auch der Arzt gegenüber der taz in Zweifel zog.

Untersuchungsrichter Priore jedenfalls hat den Verdacht, auch der „Selbstmord“ des Arztes könnte mit den Ustica-Vertuschungen zusammenhängen. Zur Feststellung der genauen Todesursache ordnete er die Exhumierung der Leiche an. Werner Raith